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Der
Wind. Wie konnte ich den Wind nicht wahrnehmen. Jahrelang existierte er
für mich nicht, lebte ich mit der Windstille. Ich bemerkte nicht
sein eisiges Stechen, sein Bohren, sein Pochen. Die Bewegung der Blätter
registrierte ich zwar, dachte, sie tanzen, sie spielen Verstecken, spielen
Fangen, regen sich, um nicht zu erstarren. Ich freute mich an ihrem Auf
und Ab. Gelegentlich gelang es einem Blatt, das andere zu berühren.
Sie genießen es, dachte ich, einander etwas zuzuflüstern. Sie
verständigen sich miteinander, vielleicht spielen sie Stille Post.
Liebkosen einander. Wenn die Äste der Bäume schwankten, hielt
ich es für ein Recken und Strecken, ein Gähnen; die Bäume
spreizen ihre Arme, so überprüfen sie, dass sie noch leben,
versichern sich selbst ihrer Existenz. Durch Jahre hindurch begriff ich
nichts, bewahrte ich die Windstille in mir. Hielt, wenn nötig, den
Atem an, statt mir ein Keuchen zu gestatten. Jedes Schnaufen und Pusten
war mir zuwider, dieses zischende Geräusch, nichts als ein Gräuel.
Ich atmete behutsam ein und behutsam aus. Atmen hat eine Harmonie, eine
Melodie, hat einen Rhythmus. Dieses eruptive Luftschnappen konnte ich
nicht ertragen. Wie dissonant.
(...)
Ich stellte mir einen
Fisch vor, dem das Wasser abhanden gekommen war, der um sich schlug, zappelte
und dabei mehr Sauerstoff verbrauchte als er jemals bekommen konnte. Selbst
wenn er sich seine Reflexe, seine Bewegungen einteilte, rationell und
sparsam um sich schlüge, seine Abwehr reduzierte, gingen die Vorräte
seiner Lungen rasch zu Ende, stockte ihm bald der Atem. Dagegen hilft
kein Luftschlucken. Man kann leicht an der Luft ersticken. Meine Gedanken
uferten aus. Ich verglich mich mit jemandem, der, auf dem Meer treibend,
verdurstet - um sich nichts als Wasser. Dazwischen den Spielraum eines
Schiffsrumpfes.
(...)
Mit einem Mal spürte
ich den Wind, wie er durch die Ritzen drängte, Einlass begehrte an
meiner Türe, sich bei den Fenstern hereinzwängte, sich breit
machte, mein Wohnzimmer erfüllte, sich niederließ. Ich empfand
seine Gegenwart, die zur Allgegenwart wuchs, sich auswuchs, ob es draußen
blies oder nicht. Er hatte sich bei mir eingenistet.
Anfangs begehrte ich auf, schmiss die Fensterscheiben ein, um ihn hinaus
zu drängen ins Freie, riss die Eingangstüre aus ihrer Verankerung,
was ich mir selbst nicht zugetraut hätte. Meine Kräfte bäumten
sich auf. Ich imitierte einen Fisch an Land: Hatte Lungen groß wie
Tonnen. Scheinbar grenzenlos. Ich lockte ihn an, um mich seiner Nähe
zu erwehren. Er bedrängte mich, und ich ließ ihn kommen. Um
das Haus rüttelte der Sturm. Sog die Wärme hinaus. Ich beschloss,
nicht zu frieren. Ich plagiierte den festgefrorenen Fisch, legte mich
zu Boden und betätigte meine Kiemen. Die Körpertemperatur ist
vom Wollen abhängig, dachte ich, sie ist eine Konstante der freien
Entscheidung.
(...)
Meine Haut war meine
zufällige Hülle, die Begrenzung meines Lebenssystems. Jederzeit
austauschbar. An die Abnützungen wollte ich keinen Gedanken verschwenden.
Ich verurteilte mich zum Haushalten. Darin hatte ich einige Erfahrung.
Berührte die Grenzen meiner Schale, vergrub die Hände versuchsweise
in meinen Taschen: Hohlräume meiner Verpackung. Mit den Fingern tastete
ich meine Existenz ab. Verschloss meine Augen. Zu sehen lenkt ab, irritiert.
Ich wollte niemandem gehören, auch nicht mir selbst. Der Wind kroch
den Boden entlang, ich vermochte ihn zu sehen, verfolgte ihn. Der Wind
tat seine Schuldigkeit. Zwei Leiber wälzten sich gegeneinander. Einheit
ist eine Illusion. Ich langte nach dem Wind: zaghaft. Der Wind legte sich
lang und breit. Ich hauchte dagegen. Seine Hülle blies mich zurück.
Ich atmete tief. Legte mich darunter, warf mich darüber. Keuchend.
Ich war das Sturmgeheul.
(...)
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