Publikationen - Leseprobe  
     
 
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  „Ziegelschupfen oder Die
     
    genüßliche Mühe der Bewegung“      
    Erzählung      
    1994: Weitra,      
    Bibliothek der Provinz      
    € 13,00      
           
               
 
     
 
"Ziegelschupfen oder Die genüssliche Mühe der Bewegung"
 
   
 

Der Wind. Wie konnte ich den Wind nicht wahrnehmen. Jahrelang existierte er für mich nicht, lebte ich mit der Windstille. Ich bemerkte nicht sein eisiges Stechen, sein Bohren, sein Pochen. Die Bewegung der Blätter registrierte ich zwar, dachte, sie tanzen, sie spielen Verstecken, spielen Fangen, regen sich, um nicht zu erstarren. Ich freute mich an ihrem Auf und Ab. Gelegentlich gelang es einem Blatt, das andere zu berühren. Sie genießen es, dachte ich, einander etwas zuzuflüstern. Sie verständigen sich miteinander, vielleicht spielen sie Stille Post. Liebkosen einander. Wenn die Äste der Bäume schwankten, hielt ich es für ein Recken und Strecken, ein Gähnen; die Bäume spreizen ihre Arme, so überprüfen sie, dass sie noch leben, versichern sich selbst ihrer Existenz. Durch Jahre hindurch begriff ich nichts, bewahrte ich die Windstille in mir. Hielt, wenn nötig, den Atem an, statt mir ein Keuchen zu gestatten. Jedes Schnaufen und Pusten war mir zuwider, dieses zischende Geräusch, nichts als ein Gräuel. Ich atmete behutsam ein und behutsam aus. Atmen hat eine Harmonie, eine Melodie, hat einen Rhythmus. Dieses eruptive Luftschnappen konnte ich nicht ertragen. Wie dissonant.


(...)


Ich stellte mir einen Fisch vor, dem das Wasser abhanden gekommen war, der um sich schlug, zappelte und dabei mehr Sauerstoff verbrauchte als er jemals bekommen konnte. Selbst wenn er sich seine Reflexe, seine Bewegungen einteilte, rationell und sparsam um sich schlüge, seine Abwehr reduzierte, gingen die Vorräte seiner Lungen rasch zu Ende, stockte ihm bald der Atem. Dagegen hilft kein Luftschlucken. Man kann leicht an der Luft ersticken. Meine Gedanken uferten aus. Ich verglich mich mit jemandem, der, auf dem Meer treibend, verdurstet - um sich nichts als Wasser. Dazwischen den Spielraum eines Schiffsrumpfes.


(...)


Mit einem Mal spürte ich den Wind, wie er durch die Ritzen drängte, Einlass begehrte an meiner Türe, sich bei den Fenstern hereinzwängte, sich breit machte, mein Wohnzimmer erfüllte, sich niederließ. Ich empfand seine Gegenwart, die zur Allgegenwart wuchs, sich auswuchs, ob es draußen blies oder nicht. Er hatte sich bei mir eingenistet.
Anfangs begehrte ich auf, schmiss die Fensterscheiben ein, um ihn hinaus zu drängen ins Freie, riss die Eingangstüre aus ihrer Verankerung, was ich mir selbst nicht zugetraut hätte. Meine Kräfte bäumten sich auf. Ich imitierte einen Fisch an Land: Hatte Lungen groß wie Tonnen. Scheinbar grenzenlos. Ich lockte ihn an, um mich seiner Nähe zu erwehren. Er bedrängte mich, und ich ließ ihn kommen. Um das Haus rüttelte der Sturm. Sog die Wärme hinaus. Ich beschloss, nicht zu frieren. Ich plagiierte den festgefrorenen Fisch, legte mich zu Boden und betätigte meine Kiemen. Die Körpertemperatur ist vom Wollen abhängig, dachte ich, sie ist eine Konstante der freien Entscheidung.


(...)


Meine Haut war meine zufällige Hülle, die Begrenzung meines Lebenssystems. Jederzeit austauschbar. An die Abnützungen wollte ich keinen Gedanken verschwenden. Ich verurteilte mich zum Haushalten. Darin hatte ich einige Erfahrung. Berührte die Grenzen meiner Schale, vergrub die Hände versuchsweise in meinen Taschen: Hohlräume meiner Verpackung. Mit den Fingern tastete ich meine Existenz ab. Verschloss meine Augen. Zu sehen lenkt ab, irritiert. Ich wollte niemandem gehören, auch nicht mir selbst. Der Wind kroch den Boden entlang, ich vermochte ihn zu sehen, verfolgte ihn. Der Wind tat seine Schuldigkeit. Zwei Leiber wälzten sich gegeneinander. Einheit ist eine Illusion. Ich langte nach dem Wind: zaghaft. Der Wind legte sich lang und breit. Ich hauchte dagegen. Seine Hülle blies mich zurück. Ich atmete tief. Legte mich darunter, warf mich darüber. Keuchend. Ich war das Sturmgeheul.


(...)

 
     
     
 
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