Publikationen - Leseprobe  
     
 
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  Die Wunderwelt, durch die ich schwebte – Literarische Träume
(mit Dieter Bandhauer)
     
    2011: Wien, Sonderzahl      
           
    200 Seiten      
    € 18,00      
           
           
               
 
     
   
 

 

… / Zahlen Johann Nestroy, 1833
(Leise Musik beginnt. Wolken senken sich über den
Hintergrund. Nach einer Weile teilen sich die Wolken,
Fortuna wird sichtbar mit einem Füllhorn, daraus kommt
die transparente Zahl 7359. – Der Schlaf der drei Gesellen
wird unruhig. Die Wolken erheben sich wieder.)
leim (sich nach und nach ermunternd). Ah – ah – (Gähnt).
Das war ein kurioser Traum – 7359. – Wenn ich‘s nur nicht
vergiß. – Ah, ich merk’ mir’s schon bis morgen. (Will wieder
schlafen). Es laßt mir keine Ruh’, ich muß – He, Schneider!
Schneider! – Der schlaft fest! – Landsmann!
zwirn (sich ermunternd). Was ist’s denn?
leim. Hast keine Kreiden?
zwirn. Ich glaub’ nit. – Zu was denn?
leim. Mir hat ein Numero traumt.
zwirn (ihm eine Kreide gebend). Ein Numero hat dir
traumt?
leim. Ja. Nro. 7359.
zwirn. Und mir hat auch ein Numero traumt – es war Nr.
7359.
leim. Was? das nämliche Numero? – Bruder, das hat was
zu bedeuten. Nur g’schwind aufg’schrieben. (Schreibt das
Numero auf den Tisch.)
(Es wird von außen stark geklopft.)
stimmen (von außen). Heda! Aufg’macht! Aufg’macht!

Zahlen / Schlange H. C. Artmann, 1967
1 Im herzen einer grille das cello zu streichen, ist ein häufiger
traum und anlaß zur hoffnung, geld zu erwerben,
gesetzt daß die grille von einer wachtel verspeist wird, die
wachtel aber von einem lamm, das lamm von einem wolf,
und dieser wieder von einem hungernden admiral, den
seine meuternde flotte an der küstenebene von Oregon
ausgesetzt hat. Dann tönt das cello in den eingeweiden
admiral Boyds, du erwachst und schreibst, deine eigene
musik noch im ohr, die zahl eins.
8 Träumt dir von dschingis-khaninnen, die dir, du bist an
dein bett gebunden, herrliche pelzmützen aufsetzen wollen,
und du fürchtest die grünen blicke deiner bedrängerinnen,
schreist, daß alle uhren und perpendikel Asiens stillestehn,
alle wolfsähnlichen tiere aus ihrem sommerschlaf erwachen
und sturm heulen, daß angst über die herde Chinas kommt,
feuerschlünde wie zigaretten verlöschen, krater wie augenlider
zuklappen, dann gewinnst du viel auf acht.
9 Erscheint dir eine schlange und frißt die täubchen samt
dem zylinderhut des zauberers, und bist du so weit, deinen
namen zu vergessen ein zirkus wird vor dir aufgebaut,
und der wind, der nicht von dieser welt ist, fährt in seine
gestänge und rüttelt sie (er aber hält stand wie ein mann
aus dem Westen), und du suchst nach visitenkarten in den
brusttaschen anderer, und man ernennt dich zum clown
aller clowns, so schlag einen purzelbaum, spring durch den
brennenden reifen des löwen, spring weiter und weiter bis
durch das öhr einer neun.

Schlange / Mutter Gottfried Keller, 15. Sept. 1847
Heute nacht besuchte ich im Traum meine Mutter und fand
eine große Riesenschlange auf dem Tabouret zusammengeringelt
liegen, wie früher unsere rote Katze, welche gestorben
ist. Die Schlange bildete eine ordentliche Pyramide auf
dem kleinen Stühlchen, auf dem obersten engsten Ringe lag
der kleine Kopf, und neben ihm ragte das spitzige Schwanzende
empor, welches aus dem hohlen Innern des Turmes
vom untersten Ringe her aufstieg. Da ich erschrak, so
versicherte mir meine Mutter, es sei ein ordentliches gutes
Haustier, und sie weckte dasselbe. Wirklich entwickelte sich
die Schlange sehr gemütlich, gähnte und reckte sich nach
allen Seiten, wobei sie die schönsten Farben schimmern
ließ. Dann spazierte sie in hohen Wellenbewegungen in der
Stube umher, stellte sich auf den Schwanz und fuhr mit dem
Kopfe, da sie sich bei weitem nicht aufrichten konnte, rings
an der Stubendecke umher, als ob sie Raum suche. Dann
folgte sie der Mutter in die Küche und auf den Estrich, wo
sie hinging. Auch ich tat bald vertraut mit dem Tier und
rief es gebieterisch beim Namen, den ich vergessen habe.
Plötzlich aber hing die Schlange tot und starr über den
Ofen herunter und nun fürchteten wir uns entsetzlich und
flohen aus der Stube. Da wurde sie wieder munter, putzte
sich, lachte und sagt: »So ist es mit euch Leutchen! Man
muß immer tot scheinen, wenn man von euch respektiert
werden soll.« Wir lachten auch, spielten mit ihr und streichelten
sie. Da stellte sie sich wieder tot, sogleich wichen
wir entsetzt zurück; sie machte sich wieder lebendig und
wir näherten uns wieder, sie erstarrte nochmals und wir
sprangen immer wieder fort. So trieb sie das Spiel, während
ich mich in andere Träume verlor.

(…)

Donau / Orient Peter Rosegger, 1883
Im Traume wurde ich gebunden und mit verstopftem
Munde um Mitternacht gegen die Gestade der Donau geschleppt
und dort ins Schiffsmagazin geworfen. Ich glitt
den Strom hinab ins Schwarze und Mittelländische Meer,
wurde feilgeboten in Alexandrien und in Beyrut, in Kairo
und in Damaskus, und niemand wollte mich kaufen.

(…)

Kamel / Alkohol Paul Scheerbart, 1898/99
Ein Säufertraum
Ich war im Traume betrunken
Und sah ein altes Kamel,
Das war zu Boden gesunken –
Es lachte – bei meiner Seel!
Und bald lag mein ganzes Genie
Neben dem lachenden Vieh.
Der Himmel lachte über mir,
Und ich trank immer noch für Vier.
Mein Kamel kam nicht zu kurz dabei;
Ich ließ es trinken fast für Drei.
Dies war meine schönste Zecherei;
Ich fühlte mich so groß und frei.
Ich trinke – bei meiner ewigen Seele! –
Nur noch mit einem alten Kamele.
Mit Menschen trinken ist der größte Kohl –
Kamele nur verstehen den Alkohol.

(…)

Fahrschein / Meret Oppenheim Manfred Chobot, 198 1
rekonstruktion eines tathergangs
sperrangeloffen das garagentor --- die gelbe ente ist pfutsch.
manfred chobot geht die stufen hinunter, um nachzusehen.
während die ente die auffahrt blockiert, steht verschindend
klein ein roter mini im entenstall. herr chobot trifft im treppenhaus
auf einen mann, der von bildern redet, die er in der
einfahrt aufzuhängen gedenkt. (genau betrachtet hängen
sie bereits längst dort.) herr chobot kehrt in seine wohnung
zurück, um bei der polizei anrufen zu lassen. wieder auf
der straße – ist die ente verschwunden. ein passant erläutert,
daß jener ausmaler das kind in pflege habe. sogleich
stehen zwei autos umher. die fahrer versprechen, die ente
zurückzubringen. als sie anstalten machen wegzufahren,
protestiert herr chobot energisch und versucht sie daran zu
hindern. (handgemenge.) gewieft und vorsichtig notiert er
auf einem straßenbahnfahrschein die autonummern. eine
der beiden lautet N 006. das erbe beinhalte die pflicht der
erziehung des kindes. mehr war nicht zu erfahren. tatsächlich
bringen die beiden die ente wohlbehalten zurück. der
entführer setzt sich an den tisch und verspricht, die ganze
geschichte zu erzählen. sein gesicht hat derbe, bäuerlichkräftige
ausdrücke und dunkle furchen. während des redens
ändern sie sich in feminin – wobei jeweils eine andere farbe
dominiert. (wie meret oppenheim in rot, violett, grün, weiß
… – ein chamäleon ist ein dreck dagegen.)
im museum beim festessen wird ente serviert. er zerlegt sie
langsam und mit bedacht. unterdessen betrachten wir die
präsentierten gemälde. annemie nimmt deren eines von der
wand und erklärt: wenn man es nur auffällig genug macht,
fällt es keinem auf. manfred chobot steht schmiere und
entfernt zwei tafelbilder (genau betrachtet: ikonen) von der
wand. darüber plaziert, tarnt die mitgebrachte, gerahmte
reproduktion. die tafel ist aufgehoben. zurück bleiben die
abgehängten gemälde sowie manfred chobot. dieser nimmt
sie an sich und folgt dem als vater identifizierten manne
im laufschritt auf den fersen – (um das diebsgut loszuwerden,
das unter dem arm klemmt.) »ich werde mich jetzt
empfehlen.« das gehe nicht, denn er befinde sich – wie
zu bemerken sei – in äußerster eile. er hat das rednerpult
erreicht … und erklimmt es augenblicklich. offensichtlich
soll es sich um eine pressekonferenz handeln. jeder zweifel
verschwindet. der redner redet vom schicksal des kindes,
das mit neun jahren von seiner mutter weggekommen,
nach vierzehn jahren jünger geworden sei. (er wiederholt
mit anderen worten die worte des bauer-mannequins.) er
drückt sein mitgefühl aus. manfred chobot steht betroffen
da mit den kunstwerken unter seinem arm.

(…)

Friedhof / Buchstaben Franz Kafka, 1920
Josef K. träumte:
Es war ein schöner Tag und K. wollte spazieren gehen.
Kaum aber hatte er zwei Schritte gemacht, war er schon
auf dem Friedhof. Es waren dort sehr künstliche, unpraktisch
gewundene Wege, aber er glitt über einen solchen
Weg wie auf einem reißenden Wasser in unerschütterlich
schwebender Haltung. Schon von der Ferne faßte er einen
frisch aufgeworfenen Grabhügel ins Auge, bei dem er Halt
machen wollte. Dieser Grabhügel übte fast eine Verlockung
auf ihn aus und er glaubte, gar nicht eilig genug hinkommen
zu können. Manchmal aber sah er den Grabhügel kaum,
er wurde ihm verdeckt durch Fahnen, deren Tücher sich
wanden und mit großer Kraft aneinanderschlugen; man
sah die Fahnenträger nicht, aber es war, als herrsche dort
viel Jubel.

 

 

 
     
     
 
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