Publikationen - Leseprobe  
     
 
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Tag und Nacht
  Der Tag beginnt in der Nacht – Eine Erzählung in Träumen
     
    2011: Wien, Sonderzahl
114 Seiten
     
    € 16,--      
           
           
           
           
               
 
     
 

Der Tag beginnt in der Nacht – Eine Erzählung in Träumen

 
   
 

Als ich heimkehrend ankomme, werden eben Wohnung und Garage renoviert. In der Garage sind die Stellagen neu gestellt, und es ist frisch ausgemistet. Für ein restliches Regal wurde noch kein geeigneter Platz gefunden. Aber, denke ich bei mir, noch ist nicht aller Tage Feierabend. Ein Ausmaler ist damit beschäftigt, die Wände der Wohnung zu weißigen. Sein Name ist mir allerdings nicht bekannt, folglich bin ich mit ihm per Sie (darauf lege ich Wert). Er hingegen sagt gelegentlich Du. Beim Arbeiten rutscht einem das Du leichter über die Zunge. Da ich nicht arbeite, sondern überwache, liegt mir das Sie näher. Per Du ist man mit Gastarbeitern, doch jener ist nicht mein Gast, sondern Arbeiter, vielmehr Ausmaler.

Das Überwachen drängt mich dringend aufs Klo, wo ich in einer Ecke ein weinendes Kleinkind entdecke, das plaudert, es sei hierher verbannt worden. (Impulsiv schmeißt es erst eine Einwegwindel gegen den Eindringling.) Dann zeigt es mir einen Notizkalender – darin tagebuchartige Eintragungen. Der Tag beginnt in der Nacht, erkläre ich, um ihm eine Freude zu bereiten. Der Platz des Kindes ist gleich einem Wallfahrer- oder Pilgeraltar aufgeputzt (vergleichbar mit jenem des Heiligen Antonius im Dom zu Padua). Es riecht tatsächlich ziemlich heilig, und ich tröste das Kind. Weil mich die Sache anstinkt, ziehe ich mich in den Nebenraum zurück, wo es weitaus geräumiger und gemütlicher ist.

Im Wohnkabinett befinden sich zwei unbenützte Fauteuils, die der Nichtgastarbeiter zuvorkommend herbeischafft, jedoch ich bestehe darauf, auf dem Fußboden zu sitzen. (Jeder sollte wissen, was das Beste für ihn ist.) Der Fauteuil erweist sich bei näherer Betrachtung als Kindersessel, sodass meine Arschbacken zwischen den Lehnen klemmen. Als Außenstehender beobachtet Hans Carl, dass ich schwitze. Er mache sich Sorgen um mich, gleichwohl werde er mir beistehen. Er nimmt mir das Versprechen ab, mir freiwillig Fieber messen zu lassen. Widerwillig gehorche ich und gelobe mein Bestes zu geben. (Dabei denke ich: In Italien habe ich ständig geschwitzt und mir nichts dabei gedacht.) Ich schwöre auf das Thermometer, die Wahrheit zu sagen. Vermutlich war dies leichtsinnig, denn inzwischen rezitiert Hans Carl sitzend einige Tagebucheintragungen. Deutet unvermittelt auf einen Stadtplan, der von mir gezeichnet wurde.

„Selbstredend“, sage ich im Brustton der Überzeugung, „den habe ich verfasst.“ Indes er: regt sich auf, gestikuliert, er hätte es gerne und freiwillig getan, wo er doch in jenen Tagen gleich ums Eck gewohnt habe, höchstens ein paar Häuser entfernt. Ich hätte ihn jederzeit darum bitten können: Ein Wort bloß, und er, Hans Carl, hätte mir eine Schale Tee ans Krankenbett gebracht, was mir gewiss nicht geschadet hätte. (Er redet mir ins Gewissen, ich bin allerdings mit meinem Fiebermesser beschäftigt, sodass ich ihm nicht näher zuhöre.) Auf weitere Argumentationen wird nicht eingegangen. Fieberhaft verweist Hans Carl auf den besonders gekennzeichneten Tag in dem Tagebuch, an dem die Frau namens Jolande den namenlosen Mann kennengelernt hat. Unbeirrt und variantenreich rekonstruiert er die Ereignisse. Seine Vorstellung schlägt heftig zu. Statt in ein Kino gehen wir einkaufen. (Hannah schließt sich an, weil sie nicht ausgeschlossen sein möchte:) „Guter Rat ist teuer und Hausrat umso mehr.“

Wir finden uns wieder in einem Großkaufhaus. Die Zeit vergeht im Flug. Im Einkaufstaumel überhören wir das Nahen der Sperrstunde. Nun beginnt die Suche nach einem Ausweg, was sich zu einem Irrgang durch das Gebäude auswächst. Dabei begegnen wir so manchem Hausdetektiv, die alles Mögliche von uns zu erfahren trachten. Wofür halten Sie uns? (Hans Carl.) Wir verweigern die Auskunft und erkundigen uns beharrlich nach dem Ausgang. (Wir schleppen wie die Blöden, weil wir es wieder mal nicht lassen konnten, uns einzuschränken.) „Wenn man uns nicht raus lässt, werden wir weiter einkaufen“, drohen wir, obwohl bereits geschlossen ist.

„Geld spielt keine Rolle, sobald die Rollbalken gefallen sind“, behauptet Hannah.

Hans Carl bestellt ein Taxi, und wir landen in Buddie’s Café. Ich vernehme, wie er über Südtirol und Berlin redet (Südtirol sei der Daumennagel und Berlin der Bauch) und dem Fahrer erläutert, wie er Buddie’s Café auf dem Stadtplan findet.

Der Chauffeur ist der Sprache nicht mächtig, sodass die Unterhaltung mit ihm nur schleppend vorankommt. (Zudem stehen wir im Stau.)

„C’est moi“, fragt die Stimme von H. C. Jetzt heißt es: erklären. „Il fait d’aller une autre time.“

„Wo hast du Französisch gelernt?“, I ask.

Il dit: „Nirgends, von da und dort aufgeschnappt.“

„Time ist falsch, es heißt fois, autre fois“, rede ich wie ein leibhaftiger Fremdsprachenlehrer.

„Wenn dem so ist, dass du recht hast“, deutet mir H. C., „dann sage ich nichts mehr.“

„Keine Frage“, denke ich, wie ich seit langem dachte, und verkünde Hannah: „Wir ziehen zusammen. Oder ich ziehe dich aus der Wohnung deiner Eltern.“ Hannah wiegt den Kopf hin und her als wäre sie auf der Zuschauertribüne in Wimbledon beim Tennis-Endspiel, „wir werden weitersehen.“

 
     
     
 
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