Publikationen - Leseprobe | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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„Wir schreiben etwas über den Schriftsteller Ignaz Franz Castelli!“ – „Ist das der von der Castelligasse?“ – „Ganz genau der.“ Solches oder Ähnliches erlebten wir, sobald das Gespräch mit Freunden auf die von uns ausgewählten Autoren kam. Kaum jemand kennt Texte dieser Autoren, obwohl sie dereinst berühmt und erfolgreich waren, inzwischen allerdings vergessen sind. Ihre Namen überlebten nur im Zusammenhang mit einer Verkehrsfläche. In den von uns gewählten Epochen – etwa ab 1830 – wurden die Straßen in Wien nach Autoren benannt, die einerseits dem jeweiligen politischen System positiv gegenüberstanden, sich dem jeweiligen zeitgemäßen Stil anpassten, und andererseits zu ihrer Zeit Bestsellerautoren waren, die Bücher mit heute unvorstellbaren Auflagen verkauften. Bemerkenswert ist, dass Autoren, die anfangs auf der Seite der Aufklärung standen und sich später der Reaktion zuwandten, ziemlich bald nach ihrem Ableben mit einer Straße oder Gasse geehrt wurden, während jene, die an ihren politischen Ansichten festhielten und sich nicht zu Opportunisten und Wendehälsen entwickelten, es oftmals erst 60 bis 90 Jahre nach ihrem Tod zu einer Verkehrsfläche brachten. Charakter und Rückgrat verzögerte zumeist die Anerkennung. Wie erlangt man die Ehre, dass man in Wien eine Verkehrsfläche erhält? Man – in den letzten Jahrhunderten fast ausschließlich Männer – muss sowohl angesehen oder berühmt – und vor allem tot sein. Sobald die Interkalarfrist überstanden ist, früher vier Jahre, derzeit in Wien ein Jahr nach dem Tod, kann eine Benennung ins Auge gefasst werden. Denn bei einem lebenden Menschen ist nicht vorauszusehen, wie er sich im weiteren Verlauf seines Lebens entwickeln wird. Übrigens: Vorschläge für die Benennung von Verkehrsflächen kann jeder bei der zuständigen Bezirksvorstehung einreichen. In realiter werden die Namen für Verkehrsflächen von der Kulturabteilung des Magistrats der Stadt Wien vorgeschlagen und vom Gemeinderatsausschuss für Kultur beschlossen. Handelt es sich um eine Person, die während der Nazi-Zeit gelebt hat, wird außerdem das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) zurate gezogen. Einst waren Straßenbenennungen ausschließlich Männern vorbehalten. Nur Kaiserin Maria Theresia und nach ihr Kaiserin Elisabeth – also Angehörige des Hauses Habsburg – durften auf Straßenschildern aufscheinen. Erst ab etwa 1970 begann die Verwaltung, bei Verkehrsflächen auch Frauen zu beachten (Ada Christen, Rosa Mayreder, Alma Johanna Koenig). Inzwischen werden in einer Aufholjagd Straßen in Neubaugebieten bevorzugt nach Frauen benannt. 2012 wurden erstmals mehr Frauen als Männer berücksichtigt, eine große Rolle spielte dabei eine geblockte Benennung nach Frauen bei Verkehrsflächen in der Seestadt Aspern. Ungern werden Umbenennungen durchgeführt, da sie nicht nur einen finanziellen Aufwand verursachen, sondern auch von den Bewohnern der jeweiligen Gasse kaum goutiert werden. Eine Benennung nach Firmen ist nicht vorgesehen, allerdings können sehr wohl Firmengründer als Namensgeber herangezogen werden. Kurz zur Geschichte der Straßenbenennungen: Bis zur Eingemeindung der Vorstädte (1861) wurden Verkehrsflächen zumeist topografisch oder personell zugeordnet. So entstanden etwa die Wilhelmstraße oder die Linzer Straße. Man folgte dabei der von den Anrainern beziehungsweise vom Grundherrn benutzten Bezeichnung. Ab der Eingemeindung übernahm die Gemeinde Wien viele der alten Bezeichnungen, musste aber Namen tilgen, die doppelt oder sogar mehrfach vorhanden waren (Hauptstraße, Kirchengasse), andererseits den zahlreichen Straßen in neu erschlossenen Gebieten einen Namen verpassen. Gern griff man auf damals anerkannte und beliebte Künstler zurück, ebenso auf ergebene Feldherrn und bewährte Politiker. Interessanterweise wurden – im Gegensatz zur Gegenwart – nur die Familiennamen verwendet (Schubertring, Reumannplatz). Oftmals – soweit dies möglich ist – wird bei der Benennung auf ein Nahverhältnis zu einem Bezirk oder sonst einer Einrichtung, zu der eine Beziehung bestand, Rücksicht genommen (Schreyvogelgasse in der Nähe des Burgtheaters). Nach der Gründung der Ersten Republik wurden in Wien 1918 Straßen, die nach Habsburgern benannt waren, umbenannt. 1923 erschien dem Roten Wien die Frakturschrift der Straßenschilder nicht mehr zeitgemäß, sodass man sich der lateinischen Schrift bediente, zusätzlich wurden die römischen Zahlen für die Nummern der Bezirke durch arabische Ziffern ersetzt wurden. Unter Bürgermeister Helmut Zilk wurde 1993 die Anbringung von Zusatztafeln beschlossen, die Auskunft geben über die gewürdigte Persönlichkeit. Die gegenwärtige Praxis von Straßenbenennung ist seit etwa 1970 in eine neue Phase getreten: Nicht aus Wien stammende, also fremde Autoren erhielten ihre Straßen, ebenso Feministinnen, Widerstandskämpfer und Nazi-Opfer. Das Problem: Da im bereits verbauten Gebiet keine neuen Verkehrsflächen frei wurden und Straßenumbenennungen stets problematisch sind, da sie eben in der Regel von der Mehrheit der Anrainer nicht mitgetragen werden, standen nur neue Straßenzüge in damaligen Aufschließungsgebieten zur Verfügung. Neue Siedlungen entstanden in Essling und in Kagran, in Favoriten und in Simmering. Daher liegt die Cankargasse, der in der Ottakringer Hasenauerstraße gelebt hatte, irgendwo in den Feldern vor Essling, und die Mayredergasse grenzt an einen Acker und landet an beiden Enden im Niemandsland. Obwohl die bereits erwähnten Zusatztafeln auf Person und Wirkungsbereich des betreffenden Autors verweisen, sind trotz allem viele dieser Autoren heute nahezu unbekannt. Keinesfalls erforderlich erschien uns, über Dichter und Schriftsteller wie Goethe und Schiller, Grillparzer und Raimund, Nestroy oder Kafka in diesem Zusammenhang zu berichten. Eine beachtliche Anzahl von literarischen Schöpfungen vergangener Zeiten hat im Laufe der Jahrhunderte eine dicke Schicht Staub angesetzt. Erst die Nachwelt war imstande, Weizen von Spreu zu trennen und zu erkennen, welcher Autor zu Recht der Vergessenheit anheimgefallen ist. So manches Gedicht oder Theaterstück sowie zahlreiche Romane einstiger Erfolgsautoren, deren Lebenswerk in vielbändigen Werkausgaben verlegt wurde, erweisen sich heute als unzeitgemäß, kitschig, pathetisch oder schwülstig, sodass von deren Urhebern bloß der Name auf dem Stadtplan erhalten blieb. Wir haben uns dieser Unbekannten und Vergessenen angenommen, ihre Werke gelesen und uns mit ihrem Leben und Wirken auseinandergesetzt. Wer erfand die Figur des Staberl? Von wem stammt der Text zur Kaiserhymne? Wer gründete den Wiener Tierschutzverein? Woher nahm Schikaneder die Idee für das Libretto der Zauberflöte? Die Antworten finden Sie in diesem Buch. Als Beispiel eines heute zu Recht vergessenen Dichters mag der einstige Bestsellerautor und antisemitisch angehauchte Robert Hamerling gelten. Der Spitzenreiter als Namensgeber Wiener Verkehrsflächen verfügt immer noch über einen Platz, eine Gasse und einen Weg. So kennt man in Wien seinen Namen, gelesen hat kaum jemand eine Zeile dieses Schriftstellers. Ein Kuriosum besonderer Art soll nicht unerwähnt bleiben: 1955 verschwand zwar eine weitere Hamerlingstraße, die durch eine Kloepferstraße ersetzt wurde, einen steirischen Arzt und gestandenen Nazi, der aus seiner deutschnationalen Einstellung sowie seiner Sympathie für den Nationalsozialismus keinen Hehl machte, für Wien nichts geleistet sowie keinerlei Bezug zu Wien hatte. Allerdings sagt die Umbenennung einiges über die damalige Zusammensetzung und politische Ausrichtung der Benennungskommission aus. Wir erwähnten bereits die Anpassung an die jeweiligen politischen Verhältnisse. Mitläufern und Ehemaligen gelang es immer wieder, sich als Demokraten zu gerieren, ohne sich ihrer Vergangenheit zu genieren. Dennoch ist der Umkehrschluss nicht zulässig: Wem dereinst eine Straße zugesprochen wurde, der muss kein schlechter Autor gewesen sein. Freilich gibt es Autoren, die zu Lebzeiten hoch im Kurs standen, beachtenswerte Texte verfassten – wie Max Winter, Ivan Cankar, Leo Perutz oder Fritz Löhner-Beda – und dennoch sind deren Namen und Texte der Vergessenheit anheimgefallen. Vielleicht vergaßen sie, den komplexen Roman oder das zündende Drama zu schreiben, das bis heute die Nachwelt beschäftigen könnte. Oder wie Wendelin Schmidt-Dengler es pointiert formulierte: „Die einen hinaus, die anderen hinein.“ Auch über solche Autoren wollen wir berichten. Verweisen möchten wir noch auf den im Auftrag der Kulturabteilung der Stadt Wien erstellten Bericht unter der Leitung von DDr. Oliver Rathkolb. Der Bericht führte zu folgendem Ergebnis: Insgesamt 259 Straßennamen müssten debattiert werden, 28 Straßennamen wären intensiv zu diskutieren, denn die Namensgeber kommen aus einem rassistischen, nazistischen oder antisemitischen Umfeld. Den Bericht kann man herunterladen unter: Zusammenfassend wollen wir erwähnen: Straßennamen vermitteln stets Identität, und der Verlust von Identität führt zur Anonymität, also zur Namenlosigkeit. Diesem Prozess wollen wir mit dem vorliegenden Buch entgegenwirken. Deshalb haben wir 23 Autorinnen und Autoren ausgewählt. Bei der Anordnung der Essays haben wir uns für die alphabetische Reihung entschieden. Eine chronologische Auflistung finden Sie im Anhang. Bei den Zitaten sowie den literarischen Text-Beispielen haben wir die „alte Rechtschreibung“ gewählt, also jene, die nach 1901 verbindlich war, um die im Barock und in der Aufklärung verwendeten Formen wie sey anstatt sei oder Thür anstatt Tür zu vermeiden. Alle anderen Texte richten sich nach der „neuen Rechtschreibung“. Beppo Beyerl und Manfred Chobot Inhalt: |
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