|
(...)
Teil
A: Ethnologisch-ethische Betrachtungen
Bei den Bedürfnissen
und Trieben des Menschen unterscheidet man zwischen sittlichen und unsittlichen.
In den meisten zivilisierten Kulturen zählt der Sexualtrieb zu den
sittlichen und der Nahrungstrieb zu den unsittlichen.
Schon
das Kind empfindet instinktiv das Essen in Gegenwart anderer Menschen
- dazu zählen Fremde ebenso wie vertraute Personen, etwa die Eltern
- als etwas Verwerfliches, Unkeusches. Schamhaft wird es seinen Appetit
unterdrücken.
In
früheren, längst untergegangenen Sozietäten, denen jedoch
wegen ihrer Lasterhaftigkeit und Zügellosigkeit, wegen des ausschweifenden
Lebenswandels ihrer Mitglieder kein langer Bestand beschieden war, gab
es welche, bei denen diese Lüstlinge ungehemmt in aller Öffentlichkeit
Gelage feierten. Der Zerfall war sowohl natürlich als auch unweigerlich.
An langen Tafeln, einer neben dem anderen hockend, stopften diese Kannibalen,
anders kann man sie nicht bezeichnen, hemmungslos diverse Leckerbissen
und Delikatessen in sich hinein, bis ihnen der Bauch auf eine obszöne
und ekelerregende Weise wegstand, sodass sie sich bloß keuchend
und schnaufend bewegen konnten - so sie dazu überhaupt noch in der
Lage waren. Ohne das Kauen zu unterbrechen, schütteten sie Wein und
Bier und Schnaps in ihre Mägen, was sie auch fortsetzten, wenn ihre
Teller, Schüsseln und Schalen längst geleert waren. Nicht eher
beendeten sie dieses schändliche Treiben, bis ihnen die Köpfe
dröhnten und sie nicht mehr wussten, was sie taten. Während
diese perversen Schlemmereien die Duldung der Behörden genossen,
in besonders krassen Fällen sogar von diesen unterstützt und
gefördert wurden, mussten Zärtlichkeiten, gegenseitiges lust-
und liebevolles Streicheln sowie jede Art des Beischlafes in die geheimsten
Ecken der Privatheit verbannt werden.
(...)
Als
Gipfel der Geschmacklosigkeit müssen wohl jene Lokalitäten gelten
- Restaurant, Gasthaus, Pizzeria genannt -, wo sich jene Kannibalen vor
aller Augen fressend exhibitionierten und dafür auch noch bezahlten.
Bisweilen konnten sogar Passanten durch die Fensterscheiben ein Auge auf
diese Schweinereien werfen.
(...)
Teil
B: Gastritische Untersuchungen
Ein Mädchen,
das von einem Mann aufgefordert wird: "Möchten Sie mit mir essen
gehen", kann ob dieser Obszönität nicht anders als mit
berechtigter sittlicher Empörung und moralischem Abscheu reagieren.
Bedauerlicherweise finden sich immer wieder Fressomaninnen, obwohl von
Seiten der Behörden und der Gesetze immer rigorosere Maßnahmen
gesetzt werden. Die meisten Fressomaninnen sind polizeilich registriert.
(...)
Fressomaninnen
laden Männer von sich aus zu Gelagen ein, wofür der Mann die
Kosten zu tragen hat. Das gemeinsame Verzehren einer Leberkäsesemmel
oder eines Paars Würstchen ist - wie leicht einzusehen - nahezu für
jedermann erschwinglich.
(...)
Im
allgemeinen schmatzen diese Frauen, bloß um dem mitessenden Mann
das Gefühl zu vermitteln, dass ihnen das Essen munde. Manche pervers
Veranlagte verweigern Besteck und Serviette und fressen mit den bloßen
Fingern.
(...)
Wer
sich den Besuch eines Schlemmerrestaurants nicht leisten kann oder es
aus beruflichen oder sonstigen Gründen vorzieht, sich nicht dem Risiko
auszusetzen, in der Öffentlichkeit gesehen, beim Beifraß ertappt
zu werden, kauft sich Kochbücher mit farbigen oder schwarz-weißen
Abbildungen von Gelagen, Kataloge von Leckereien und Leckerbissen, sogenannte
Fressographien, die seinen Hunger anregen, ja mitunter sogar steigern.
(...)
|
|