Publikationen - Leseprobe  
     
 
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  Schmäh ohne, aber echt – Wiener Satire und Humor aus 100 Jahren
(mit Gerald Jatzek)
     
    2011: Wien, Edition MoKKa      
           
    208 Seiten      
    € 19,50      
           
           
               
 
     
   
 

Friedrich Schlögl
Wiener Feiertage

Selbstverständlich meine ich nur die Feiertage des Mittelstandes. Die Aristokratie und Geld-Noblesse hat deren alle Tage, die Masse unter dem Wahlzensus hat ihrer Lebtage nicht einen einzigen – so bleibt eben nur der Mittelstand, das Bürgertum, welches Feiertage zu feiern hat und bei dem die rot angestrichenen Tage eine wirkliche Ausnahmestellung in der werkelmäßigen Tagesordnung bilden. Weiters habe ich zu bemerken, daß ich nur die Feiertage des Katholiken im Auge habe, und da ich mich in weissen Socken für einen ebenso guten Christen halte, wie meine hochverehrten Mitbrüder in violetten Strümpfen, so mag mir der »Volksfreund« gestatten, daß ich als Sachverständiger
mein Separatvotum abgebe.
Wir haben nun den heiligen Abend, zwei Feiertage und den Sonntag – summa summarum: vier Festtage nacheinander in einem Strich verlebt. Die glaubwürdige Korrespondenz »Rottert« bringt bereits den partiellen Totenzettel über die in Folge der gewissenhafte Gebrauch einer katholischen Hauswirtschaft gefallenen Tiere, und wenn auch gerade keine hundert weißen Stiere, wie von den römischen Barbaren, den frommen Festen geopfert wurden, so sind doch die Hekatomben der geschlachteten gewöhnlichen Rinder und Kälber, Lämmer und Schweine ein ansehnliches Festopfer, das den Mysterien der Tage und dem Moloch des christlichen Appetits gebracht wurde. Und da fehlen noch die statistischen Ausweise über die Leichenzahl der Hasen und Kapaune, der geschoppten Gänse und gemästeten »Pokkerln «, der Hühner und Enten, und was eigentlich die Hauptsache: der erschlagenen Fische. Denn wir konsumieren viel und vielerlei an den gebotenen Fast- und Festtagen und hat dieser lokale Usus den ewig nörgelnden, kühl denkenden protestantischen Norden leider auch schon längst zu dem lieblosen kritischen Urteile verleitet: der Wiener Katholik hat und kennt keine Fest-, sondern nur Freßtage. Und die strenggläubige Vorsteherin einer geordneten Wiener Hauswirtschaft hat beim Herannahen hoher Feiertage tatsächlich eine sorgenvolle schwere Aufgabe. Es muss das vorgeschriebene Repertoire genau eingehalten werden, worüber schon die Nachbarschaft wacht, und es muss, soll das Haus nicht in Misskredit und die gesamte Familie nicht in den Ruf der Ketzerei oder gar Bettelhaftigkeit kommen, alles aufgeboten werden, um das für jeden einzelnen Feiertag prädestinierte Bratel zur geschmorten oder gebackenen Vorlage bringen zu können. Eine echte Wiener Bürgerfamilie bleibt deshalb nicht nur den ehrwürdigen mündlichen Überlieferungen vergangener Jahrhunderte treu, sondern auch den Küchenchroniken und schriftlichen Aufzeichnungen hervorragender, bereits der Geschichte angehörenden Köchinnen, und da durch eine beinahe fatalistische Konstellation der Ereignisse meist an Feiertagen die erforderlichen Fonds fehlen, um den frommen Gebräuchen ganz gerecht werden zu können, so hat der grübelnde Menschengeist die Tandler, das Versatzamt und, um einem allgemeinen Bedürfnisse abzuhelfen, in neuester Zeit auch die Pfandleihanstalt erfunden, welche Refugien die Mittel zu beschaffen haben und sonach kein guter Christ mehr eine Ausrede hat, den Festtag nicht auch durch ein paar Brathendel feiern zu können.

Es besteht nämlich wirklich ein »Bratelrepertoire« für die Feiertage, welches z.B. zu Weihnachten folgendes festsetzt: Am Heiligen Abend den unausbleiblichen Fisch in seinen zahllosen Variationen und Abarten, vom kostbarsten Schaiden bis zum plebejischen Weißfisch, am Christtag den Indian, vulgo Pockerl, recte Schustervogel, am Stefanitage den normalen Hasen, und da heuer auch noch ein Sonntag knapp darauf folgte, an diesem vierten Feiertage je nach Umständen ein Gansl oder den »jungen« Hasen, d.h. die Läufeln des Seligen und dessen Lungel und Leber. Minder Begüterte begnügten sich gestern mit dem »Hackelputz« der vorhergegangenen Festtage und deren restlichem »G’schnattelwerk«, wer es aber tun konnte und dessen gesamte Kräfte noch ausreichten, hatte gewiss wenigstens sein Schweinernes oder Lammernes, wenn auch letzteres dermalen eigentlich mehr die Nuance Schopsernes hat.
Mit diesen Paraderollen des Bratspießes und der Bratpfanne ist jedoch der Kultus der Festtage und seiner Magenprobe – an welcher übrigens auch andere Konfessionen partizipieren – noch lange nicht erschöpft. Es gibt noch eine Masse Komparsenrollen, als da sind: Gugelhupf, Milch-, Erdapfel- oder Kletzenbrot, Fisolen- oder wallischen Salat, Apfelstrudel, Zwetschkenkompott, Beuschelsuppe, Emmentalerkas, Linzertorte, Heringe, kandierte und eingemachte Früchte, Sardellenbutter usw. usw. Dieses raffinierte Konglomerat der heterogensten Köchinneneinfalle tritt mit dem fast grausamen Begehren an den Gaumen und Magen eines orthodoxen Christen heran, in ein paar Tagen verschlungen und ohne Nachwehen verdaut zu werden. Wer in einem ordentlichen Wiener Bürgershause oder
einem sonstigen frommen Gehöfte die Weihnachtsfeiertage mitgemacht, denkt bei deren Wiederkehr sicher nur mit Beben an die lebensgefährliche Möglichkeit, noch einmal
zu diesem Kampfe mit seinem südlichen Organismus auf gefordert zu werden. Denn es wird in gesitteten Familien als eine Beleidigung angesehen, ein Zwetschkenmus zu refusieren, wenn es auch unter dem schlagenden Hinweis, vor anderthalb Minuten mit einem tiefblauen Gorgonzola den endlichen Schlussstein gelegt zu haben, geschieht, und die gutmutige Hausfrau wird es dir nie und nimmer verzeihen, von ihrem delikaten Kuchen nichts gekostet zu haben, und zwar unter dem nichtigen Vorwand, du hattest soeben ein Stück Aal genommen. »Man kann schon, wenn man nur will« – heißt es dann –, »aber bei uns ist Ihnen halt alles zu schlecht« – und man rümpft verletzt das Näschen oder die Nase. Freundlicher Mitsterblicher! Du bist nämlich im Irrtum, wenn du glaubst, du hattest an solchen Tagen oder Abenden nur deine gewöhnlichen Verdauungswerkzeuge zur Verfügung, und du konntest deinem Innern nicht mehr aufbürden, als du es das ganze Jahr über tust und es dein Inneres eben nur gewohnt ist. Du täuschest dich, du bist da zu ängstlich, zu pedantisch, denn »man kann schon, wenn man nur will«, heißt die Parole der Feiertage. Du bist es z.B. nicht gewohnt, abends Suppe zu essen. Am heiligen Abend bist du dagegen verpflichtet, und zwar schon um sieben Uhr, während du sonst vielleicht erst nach dem Ballett soupierst, ein paar Teller der dicksten Beuschelsuppe hinabzuschlingen. Du fühlst dich nun gesättigt? Lächerlich, die Hausfrau nötigt dich, wenigstens noch einen Löffel Suppe zu nehmen, sonst werde sie ernstlich böse, und bei dieser Gelegenheit zeigt man dir den Appetit der fünf- und
sechsjährigen Buben, welche von dieser deliziösen Beuschelsuppe gar nicht genug bekommen können. Dann werden die Teller gewechselt, und der obligate Fisch ist da, d.h. der Heilige-Abend-Fisch in seinen verschiedenen Gestalten, Charakteren, Nationalitäten und Saucen.

»Ist gebackener Donaukarpfen gefällig?« – »Bin so frei.« – »Hier ist auch heißabgesottener, mein Mann ist ihn gern; darf ich ein Stückchen anbieten?« – »Danke.« – »Oder ist Stockfisch gefällig? Mein Schwager ist ein Liebhaber davon.« – »Danke verbindlichst.« – »Schill kommt gleich, auch Schwarzfisch. Ah, hier ist er schon! Bitte, nur ein Stückchen, ja, ja, Sie müssen, sonst machen Sie mich böse!« Dir schwindelt. Es gelingt dir, unbemerkt einige rückwärtige Schnallen an Beinkleid und Weste zu öffnen, du atmest etwas leichter auf, da kommt der Schill in delikater Sauce; willst du die herrliche Hausfrau nicht tödlich beleidigen, du mußt davon nehmen, denn die Sauce ist nach einem Rezepte, das die verstorbene Tante in ihrer Jugend von Paris mitgebracht. Die Schillsauce ist der Stolz des Hauses, bei Rothschild und dem Erzbischof ist sie nicht besser, und man gibt dir den Teller voll.
Auch dieses Attentat der Gastfreundschaft ging noch ohne direkte Lebensgefahr an dir vorüber; aber nun wettest du plötzlich mit dem Hausherrn, der eben die riesige Gräte eines Hechts durch die Zähne zieht, dass ein heftiger Regen an die Fenster schlage. Diese Vermutung wird allseitig belächelt, es soll der heiterste Abend sein, und du gehst an das
Fenster, öffnest es, schöpfst in langen Zügen die erfrischende Luft, trocknest dir den Angstschweiß von der Stirne, und nachdem du selbst bestätigen mußt, dass es nicht regnet, kehrst du seufzend zum Operationstische zurück. Während dieser kurzen Pause bereitete man dir eine zartsinnige Überraschung. Die Nichte des Hauses wispert dem Klavierlehrer ins Ohr, du hattest erst zwei Stück Karpfen gehabt, und nun liegt ein prächtiges Mittelstück auf deinem Teller. Du protestierst aufs feierlichste gegen jede weitere Zumutung in solchen Dingen, allein die ganze Gesellschaft bricht in den liebevollen Rache-Chor aus: »Nein, nein! Sie
müssen, Sie müssen! Sie haben erst zwei kleine Stückchen gehabt!« Und obwohl der jüngste Sprössling den lauten Einwurf erhebt: »Es ist nicht wahr, der Herr v. X. hat schon drei Stückeln gegessen«, welches naseweise Minoritäts-Gutachten dem Sprecher einen klatschenden Verweis zuzieht, so nötigt man dich doch, während der Kleine nun heftig weint, das dritte (nach einer anderen Version vierte) Stück Karpfen zu zerlegen.

Endlich glaubst du deine Aufgabe gelöst und deine Essrobot vollendet zu haben. Du bringst das Gespräch auf eine neue Zigarrensorte und bietest dem Hausherrn eine Probe an. In diesen voreiligen Verhandlungen überrascht euch die Dame des Hauses und ruft ein sanft grollendes: »Was, die Herren wollen jetzt schon rauchen? Diese garstigen Zigarren! Es kommt ja erst der Nachtisch!« Und Todesblässe überzieht dein Gesicht, denn nun kommen wirklich all die süßen und saueren Kleinodien eines perfekten Desserts, das am Heiligen Abende naturgemäß erweitert und ergänzt ist. Es kommen die Nippes aus Mandelteig und die phantastischesten Kompositionen aus Essig und Öl; es kommt Schokoladecreme und Sellerie, Salami- und Biskuitroulade, überhaupt jene bunte Reserve, die ich oben angedeutet. Und von alldem mußt du nehmen, man wird sonst, wie man’s dir bereits zum dreihundertsiebenundsiebzigsten Male gesagt, ernstlich böse, denn »es geht schon, wenn man nur will«! Und nachdem du – da nur ein Mord dich davor gerettet hatte – wirklich von allem nehmen musstest und wirklich genommen und gegessen hast, ja selbst das (horribile dictu!) Kletzenbrot hinabwürgtest, das diesmal gar so schön gebacken war, und schließlich mit einem Glase Punsch auf das Wohl der geehrten Anwesenden trankst, gelingt es dir endlich, ins Freie zu kommen und bei einem kleinen Schwarzen das, was du in zwei, drei Stunden soeben alles geleistet, zu überdenken. Aber das Fürchterliche kommt ja erst. Morgen bist du bei N. zu einem Indian, übermorgen bei Z. zu einem Hasen und überübermorgen zum Hackelputz bei X. geladen! Das ist so unser übliches Feiertags-Pensum. Wie wir diese Herkulesarbeit vollbringen, das ist unser engeres vaterländisches Geheimnis, ein spezifisches Magenrätsel, das ich selbst bisher vergeblich zu lösen bemüht war. Wie diese heroischen Taten den betreffenden Familien, den erwachsenen Esskünstlern und den kleinen Vielfräßchen gelingen? Auch das weiß ich nicht; ich weiß nur so viel, das einzelne Vertreter Äskulaps das Herannahen hoher Festtage meist schmunzelnd begrüßen, das ihnen aber, wenn die sonderbare Feier beendet, manche gastronomische Fehltritte doch als Todsünden erscheinen, und sie das kulinarische mixtum compositum nur durch den luxuriösesten Konsum eines anderen mixtums, des allseits bekannten Inf. lax. Vien. oder mittelst des drastischen tart emet. zu paralysieren bestrebt sind. Das heißt: bei Feiertags-Marodeurs des Frauen- und Kindergeschlechtes. Der starke Mann, sollte er sich nach dem überstandenen Kampfe tiefinnerlich doch invalide fühlen, führt seinen sündhaften Magen einem derberen Purgatorium zu, er kennt sich und sein Selbst, er weiß, was er bedarf, und die Pfade verfolgend, wo ein saures Beuschl kredenzt wird, hofft er auch diese Krisis glücklich zu überstehen.
Und dass dieser letzte Versuch allseits gelinge, ist auch mein herzlichster Wunsch!

Vincenz Chiavacci
Adabei in Venedig

Venedig, den 3. April 1888
Liaber Freund!
Das i no leb’, verdank’ i nur den harten Eiern; denn bei der wallischen Kost war’n m’r ans nach’n andern umig’standen. I kumm’ mit an’ Wolfshunger an, stirz’ natirli glei ins Speis’zimmer und sag’, so soll’n m’r nur bringen, was s’ hab’n. »Tutto, tutto« hast’s auf wallisch. Alsdann bringen s’ m’r an’ Kachel Suppen daher, das der grosse Christoph a Sitzbad’ drinn nehma kunnt. I kost’s, mei Alte kosts a; i schau mei Alte an, mei Alte schaut mi an; a G’sicht hat’s g’schnitten, das i s’ gar nimmer kennt hab’; sie hat in a ganz andere Familie einig’schaut mit den G’sicht. Denk d’r, a hass’ Wasser, mit an’ grawlerten Mehlpapp! Na, sag’ i, dos is niente. Niente hast nemlich nix. Kummt der Kerl mit aner
andern Schissl; i hab’ glaubt, mi trifft der Schlag: Backene Adaxeln, Spinnerinnen und Schneiderfischeln, alles durcheinander auf an’ Haufen; dos Ganze hat nach Petroleum g’stunken; frittura mista, sagt der Bandit und macht a Fleansch’n bis zu de Ohr’n hintere. »Das dos a Mist is, dos
siech i eh«, sag i und stell’ de Schissl g’schwind untern Tisch, das uns net no was passiert. Drauf sag’ i zu meiner Alten, wast was, sag i, ländlich-sittlich, mir b’stell’n uns was, des se net mit eahnerer Kocherei verderb’n kinnan. Do Austern soll’n sovül guat sein, hör’ i; dos san Muscheln, de man essen kann. Vielleicht find’n mir an Hals voll Perl’n drinn. Se, Tschowanni, sag’ i, Tschowanni hast nämlich Schani, bringen S’ mir a Dutzend Austriachi, aber guat abg’leg’n miassen s’ sein. Richti’ bringt er auf an Teller zwölf Muscheln daher. Na, denk’ i m’r, dos schlitzige Zeug hatten s’ a friara aussanehma kennen; aber mit’n Herrichten wissen s’ halt net umz’geh’n. I schmeiss alsdann des schlitzige Zeug auf an’ andern Teller, wasch de Muscheln guat ab und beiss halt eini; na, du wast ja, das i Zahnd hab’, mit do man Pflasterstana aufbeissen kann, aber do Muscheln hatt’ i net abi bracht, mei’ Alte schon gar net mit ihr’n Gebiss. Wie i mi so abiplag’, kummt der Kellner, deut’ auf dos schlitzige Zeug’, was i wegg’schmissen hab’ und sagt: molto buono. »G’hert schon Ihna«, sag’ i. Der lacht, wia er nur kann und fangt richti an, dos Zeug aufz’essen. Richti hab’n m’r an den Tag nix g’essen als anderthalb Kilo Kas’ und dreissig Pomeranschen.

 

 
     
     
 
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