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ULF BIRBAUMER – Vorwort zu „Franz – Eine Karriere":
Manfred Chobot ist ein Reisender, den ich immer wieder treffe. Zufällig. In der Galerie seiner Frau Dagmar, bei Veranstaltungen der Grazer Autorenversammlung, deren burgenländische Zweigstelle er sechzehn Jahre von Illmitz aus leitete, am Yppenplatz, aber auch im Flugzeug Richtung Fuerteventura auf dem Weg zu seinem kanarischen Fluchtdomizil, wo ich ihn in Lanzarote, meiner Winterfluchtinsel, verlasse und wo ich zu ihm von meinem Quartier aus bei gutem Wetter hinüberschauen kann. Dort, wo die langgestreckten Dünen aufhören, hinter Lobos, der Robbeninsel. Dort beobachtet, belauscht und beschreibt er die Nachfolger der Primaten. Auch in Wien, im Burgenland, in den dalmatinischen Fjorden. Wo immer auch. Als sehr österreichischer Autor, seinem hiesigen Idiom unverrückbar verhaftet, ob als Lyriker, als Erzähler, als unbestechlicher Sprachkritiker: anrennend gegen die immer drohende „Niederlage an der Sahnefront“, wie Friedrich Torberg einmal zornig die Gefahr für unsere österreichische Sprachlandschaft diagnostizierte. Von der Neusprech-Sprachverschmutzung durch das Kauderwelsch anglosächsischer Globalisierung (aber auch übertriebener Genderisierung) der Sprache ganz zu schweigen. In „Ein gewisses Fräulein Else“ treibt er diesen Sprachgebrauch der „kids“ monologartig kabarettistisch auf die Spitze. In einer der hier versammelten 13 Erzählungen. Da wird Else vom Opfer zur Täterin.
Zu seinem 70. Geburtstag schenkt uns Manfred Chobot nach seinen „Weltgeschichten“ (2013), seinen „Grätzelgeschichten“ („Der Hund ist tot“, gemeinsam mit Beppo Beyerl und Gerald Jatzek, 2012) und den zwei Bänden mit Mini-Krimis von 2015 eine neue Sammlung von bunt gemischten Erzählungen, die aufs erste Hinsehen kaum vergleichbare narrative Strukturen aufweisen. Oder doch? Eine vordergründig inhaltliche Brücke läßt sich jedenfalls kaum bauen. Also hat der Autor als Sammeltitel „Franz – Eine Karriere“ gewählt, die Überschrift – vielleicht – seiner Lieblingsgeschichte. Sie erzählt das Schicksal eines schüchternen Einzelkindes, immer mehr eingeschüchtert von einem egoistischen, verspielten Vater. Franz soll ein Mann werden und wird in der Pubertät mit der geforderten „Männlichkeit“ nicht fertig, landet schließlich in der Psychiatrie und gerät dort nach der Versetzung eines einfühlsamen Arztes in die Klauen eines Psychiaters vom Schlag eines Gross oder Scrinzi.
Oder gibt es doch Gemeinsamkeiten? Es gibt sie. Die meisten Opfer-Täter oder Täter-Opfer und ihr Schicksal in ein zumeist grausames Scheitern. Ein Scheitern seit ihrem Ursprung, sprich Herkunft, Erziehung, soziales Umfeld – durch fremde und hausgemachte Zwänge. Der Franz, der Oliver, der Sascha, der Horst, die Brigitte, die Sylvia / Gerda, die Else, Anna und Maria; nicht umsonst tragen sie alle mehr oder weniger banale Kalendernamen. Zeichen für sterile Normalität, lakonisch, ohne Empathie beschriebene Figuren. Chobots Geschichten sind historische wie zeitgenossische Parabeln, oft grausame, alltägliche Narrative mit meist unerwartetem Ausgang.
Was Chobot besonders interessiert sind die Spiele mit Doppelleben, die ihren Ursprung oft in der Kindheit haben. So muß Georg trotz seiner künstlerischen Begabung als Sohn eines berühmten Chirurgen Mediziner werden. Malerei studiert er heimlich, bis er durch seine Erfolge nichts mehr verbergen kann und schließlich auf der Selbstsuche im Kloster auf dem Berg Athos landet. Da gibt es ein „doppeltes Lottchen“, Anna und Maria, die ihre Verwechslungsspiele schließlich auch in ihren Männerbeziehungen fortsetzen – mit leicht vorstellbaren Konsequenzen. Da ist Horst, der Frauensammler, der zur Rettung aus Beziehungsschlamasseln seinen ähnlich geratenen Sohn Sascha als Ausrede und Doppelgänger einsetzt. Da ist Sylvia, die sich letztlich als Dolmetscherin in China in eine andere namens Gerda verwandelt. Und da gibt es noch einen Oliver, ein merkwürdig altkluges Kind, ein wandelndes Lexikon, vor allem, was die Filmwelt in Hollywood betrifft. Kein Wunder, denn er hat schon einmal gelebt, hat dort in den 1930er/40er Jahren als Kameramann, Drehbuchautor und Schauspieler gearbeitet und erinnert sich besonders intensiv an Hedy Lamarr.
Und schließlich kann Chobot als Freund des Doppelgänger-Narrativs natürlich nicht an der theaterhistorisch belegten Geschichte jenes jüdischen Schauspieler vorbeigehen, der sich in einen lediglich Dialekt sprechenden, saubegabten Älpler verwandelt; in ein Naturtalent mit blonder Mähne und Bart, das die einsetzende „Kraft durch Freude“-Theaterwelt erobert und alle zum Narren macht. Das Reizvolle daran ist, daß Chobot die Geschichte als Ich-Erzähler anlegt und die theatralischen Fakten auf diese Art eine autobiographische Verfremdung erfahren.
Chobot erzählt überhaupt gerne in der Ich-Form. So auch über eine Marokkoreise, auf der dem Ich-Erzähler eine Handleserin fasziniert. Die Überprüfung ihrer Prophezeiungen gerät zu einem spannenden Puzzle. So etwas kann einem schon passieren. Chobot liebt ja Alltagsgeschichten. Die meisten beginnen nur als solche, ufern dann beharrlich aus, bis sie wieder im Alltäglichen landen: lapidar, tragikomisch, überraschend.
Seine Einstiege lesen sich oft wie Boulevard-Zeitungsnotizen: ein Mann namens Adam entführt das Kind Clara, das er Jahre an sich zu binden versteht, bis die Scheinnormalität platzt; eine taffe Anwältin und Steuerberaterin, die sich nach günstiger Scheidung eine traumhafte Bleibe in Marbella schafft. Als gerissene Managerin, die alle Immobiliengeschäfte fest im Griff hat, ist sie nicht davor gefeit, einem jüngeren Mann auf den Leim zu gehen und in dieser Beziehung alles falsch zu machen. Eine weitere Alltagsgeschichte kennen alle Freunde des mittelständischen Bildungswegs: ein verspätetes Maturatreffen hinterläßt dem Protagonisten Paul einen mehr als schalen Nachgeschmack. Die gealterten Kumpane von einst können einfach nicht zusammenfinden.
Die vorletzte Erzählung, eigentlich ein sketchartiger Dialog, setzt den fulminanten Schlußpunkt. Sie handelt von einem Herrn, der immer dringender eine tiefenpsychologische Behandlung benötigt. Er ist ungepflegt, trägt einen wirren, langen Bart und kommt wohl in Schlapfen daher. Herr Gott, gewissermaßen ein „Mittelstandsgott“, wie ihn Ödön von Horváth erfunden hat. Er kennt sich seit einer halben Ewigkeit mit seiner Schöpfung und sich selbst nicht mehr aus und landet daher folgerichtig bei Professor Freud. Der hat zwar keine Ewigkeiten Zeit (es warten ja noch andere prominente Patienten), aber warum nicht die Welt retten, wenn deren Schöpfer nicht mehr aus noch ein weiß. Eine Auseinandersetzung mit dem Allwissenden von Friedellschem Witz. Viel Spaß damit, lieber Leser – oder göttliches Gelächter. Wissen Sie was Besseres?
Ulf Birbaumer |
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