Publikationen - Leseprobe  
     
 
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  „Dorfgeschichten“
     
    1992: Weitra, Bibliothek der Provinz      
    gebunden      
    € 15,00      
           
           
           
               
 
     
  Abends eine Theateraufführung im Fernsehen – in französischer Sprache.
Ein wenig verstanden.
 
   
 

Am nächsten Morgen fahren wir 80 Kilometer östlich. Ein kleiner Ort. Im Sommer Fremdenverkehr. Wir sitzen in einer Küche, werden bewirtet und hören von den Problemen eines burgenländischen Nebenerwerbsbauern, der während der Woche in Wien in einer Fabrik arbeitet.

Bauer, Bäuerin und Jungbauer haben noch Arbeit, die getan werden muß. Wir sind mit der Großmutter allein. Sie schenkt uns Wein nach und sagt:

Jo, jo, de Sau hoit nuit geaum oftn fuig nim aun wuig, hir nix mön weutn dea laten guifn weat, naha weat keufen, poin feut doiktn, oftn gaun schuik, weat kuifn, den Sau...

Entschuldigung, wir haben nicht ganz ver-

De Sau hoit nuit geaum oftn fuig nim aun wuig, hir nix mön weutn dea laten guifn, naha weat kuifn, poin feutn...

Also die Sau, Sie haben die Sau...

Weat kuifn poin feut doiktn, oftn gaun schuik weat kuifn, den Sau fuit gwen, ni weat wuin laut is poin nusa Sau...

Wir resignieren und nicken gelegentlich. Ab und zu garnieren wir mit Mhmmm, Mmmmm.

...Sau fol zut schui gwen, koin töl nuit moin, weat...

Der Zimmervermieter ein paar Häuser weiter sagt immer während des Sommers (in den Ferienmonaten ist er schwerer zu verstehen als im Winter): Jungejunge, Sachen jibt et, da kiekste, wat.

Ausnahmsweise verstanden wir ihn.


 
 
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  Die Geschichte eines jeden Dorfes besteht aus unzähligen Geschichten von Ungerechtigkeit und Unterdrückung, Benachteiligung und Gemeinheit.  
   
 

Über eine der niederträchtigsten schweigt man sich gemeinsam und beharrlich aus. Unter den Mitwissern geteilte Schuld gibt vor, vernachlässigbar zu sein. Mit jedem Jahrzehnt verstärkt sich die Mauer der Undurchlässigkeit; die Zeit tröstet die scheinheiligen Gewissen.

Der Anfang der Geschichte liegt irgendwann in den Jahren 1937 oder 1938. In einem Ort im Seewinkel, am Ostufer des Neusiedlersees, lebte ein Kaufmann. Er war Jude und Besitzer eines Gemischtwarenladens. Was seine finanziellen Belange betraf, war er nicht arm, und es schien, als habe das Schicksal es wohlwollend mit ihm gemeint. Unter seinen Mitbürgern war er mäßig beliebt; seines Geldes wegen wurde er respektiert.

Dann kam für sieben Jahre das Tausendjährige Reich ins Land. Und die Geschichte nahm ihren Lauf. Statt Österreich hieß es nun Ostmark, und an die Stelle der Achtung trat die Ächtung. Gewisse Dorfbewohner befolgten eifrig die neuen Gesetze. Aus versteckten Gehässigkeiten wucherten offene Anfeindungen. Das Recht stand traditionell auf der Seite der Mitläufer. Der Rauch der Verbrennungsöfen stank zum Himmel, und die offizielle Kirche beweihräucherte eilfertig die Herrschenden und stellte ihre Gebete in den Dienst der braunen Machthaber. Dem jüdischen Kaufmann wurde die Nachricht überbracht, daß er mit seiner Deportation zu rechnen habe. Der Abtransport sollte in wenigen Tagen erfolgen.

In aller Diskretion machten sich zwei unverdächtige Mitmenschen anheischig, ehrsame Bürger, dem Krämer zur Flucht zu verhelfen. Es gäbe jemanden am Westufer des Sees, der über die nötigen Verbindungen verfüge. Für diesen Gefallen müsse der Jude sich selbstverständlich erkenntlich zeigen, eine kleine Aufmerksamkeit bloß, brächten sie dadurch sich selbst und ihre Familien in erhebliche Gefahr, Lebensgefährlichkeit sogar.

Zum vereinbarten Zeitpunkt traf man sich am Ufer des Sees. Mit einem Ruderboot würde man ihn hinüberbringen.

Das Boot stieß ab, und die beiden Helfer ergriffen die Ruder. Etwa in der Mitte des Sees unterbrachen sie das Rudern.

„Was gibt es?“ mißtraute der Jude.

„Wenn du dieses Dokument unterschreibst, bringen wir dich heil ans andere Ufer. Andernfalls kehren wir um. Unverzüglich. Was das für dich bedeutet, weißt du selbst: Deportation in ein KZ und Tod.“

Der Kaufmann unterzeichnete die vorbereitete Schenkungsurkunde. Nun besaß er nichts mehr außer seinem nackten Leben.

„Was sind schon Geld und Reichtum, Geschäft und Besitz gegen die Ewigkeit“, sprach einer der soeben Beschenkten. Mit ihren Rudern schlugen sie zu. Traten ihn aus dem Boot und ertränkten ihn.

Sodann kehrten sie wohlbehalten zurück.

Übereinstimmend werden sie von einem Unglücksfall berichten.

Einer der Beteiligten dient heute der Gerechtigkeit und versieht seine Pflicht als Gendarm.


 
   
     
   
     
     
     
 
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