Publikationen - Leseprobe  
     
 
back
 
     
 
„Chobot-Lesebuch“
  „Chobot-Lesebuch“
     
    1987: Wien, Frischfleisch &      
    Löwenmaul      
    broschiert      
    vergriffen      
           
           
               
 
     
 
Sinfonische Dichtung in 4 Sätzen für Alfred Hrdlicka
 
   
 

1. Satz: Allegro espressivo
Alfred Hrdlicka rotiert unheimlich schnell, erfasst Zusammenhänge, begreift im Handumdrehen, worum es geht, versprüht Energie, beim Tanzen ebenso wie beim Bildhauern, Radieren, Diskutieren, wobei er eine nach der anderen raucht, wenn er sich konzentriert, wie ein Tiger auf und ab laufend, während er sich eine Rede ausdenkt, aus dem Stegreif, etwa für eine Veranstaltung der "Künstler für den Frieden", spontan, aus dem Handgelenk, dabei den Kern der Sache präziser trifft als manch anderer in langwieriger Tüftelei, im Kaffeehaus und anderswo seine Armbanduhr vom Handgelenk nimmt, sie neben sich lebt und einen kleinen Mokka nach dem anderen trinkt, zwischendurch Zeitungen liest, schneller die Weltpresse überfliegt als so mancher Lokalblätter umblättert, mit dem klaren Durchblick für Kunst und Politik, indessen einen Klaren kippt, bevorzugt Wodka, dagegen Whisky beharrlich verachtet, auch wichtige Dinge in Plastiksackerln mit sich herumschleppt, diese dann und wann liegen lässt, zurück eilt, als Wiener charakteristisch schmähgewandt nicht selbst Auto fährt, sondern sich der Einreichung des Taxis bedient, der Eile wegen und auch sonst.

2. Satz: Adagio sforzando
Beim Tanzen bevorzugt er Tagesschlager, Gebrauchsmusik, seine Hände gebraucht er gewaltig beim Bildhauern, Radieren, sie sind kräftig ausgeprägt die Hautfalten an den Fingergelenken, in ihrer Art meditative Kunst, wie Hrdlicka die Figuren dem Stein entreißt, über Jahre hindurch, immer wieder unterbricht, fortsetzt, innehält, lediglich mit Muskelkraft den Blick bearbeitet, das Brechen des Steins reibt sich am Willen des Bildhauers, Pressluft ist ihm in diesem Zusammenhang fremd, denn Fehler können nicht mehr korrigiert werden, was abgeschlagen ist, lässt sich nicht mehr hinzufügen, angeschlagen ist auch durch langjährige Praxis sein Kreuz, die Wirbelsäule schmerzt, selbst die Brüche seiner Hände konnten ihn nur bedingt von der Arbeit abhalten, nämlich sich im Stein auszudrücken, von der Stripperin mit der Python in jenem Nachtlokal hat ihn deren Rückenmuskulatur fasziniert, vielleicht hockt sie längst in einem Marmorblock, denn Steinbildhauerei ist Schwerstarbeit.

3. Satz: Scherzo
"Hrdlicka und die Öffentlichkeit" hieß jenes "Reibflächenmultiple", das Hrdlicka als "Avantgardisten" auswies, mit grünem Einband, rotem Glaspapierumschlag, eigenhändig von Künstler und Herausgeber aufgeklebt, die gesamte Auflage, "für Holz oder Metall?" mit handgehäkeltem Umschlag als Luxusausgabe und mit Glaspapieraußenseiten die "Volksausgabe", das asoziale Buch, das seine Bücherschranknachbarn zerkratzt, ein Buch von hohem Gebrauchswert, etwa zum Fingernägel feilen oder zur Durchführung von Schleifarbeiten an Holz- oder Metallgegenständen, worum wir uns aber nicht weiter gekümmert haben, ebenso wenig wie um tatsächliche Korndurchmesser des roten Glaspapiers, das laut Verkäuferin von unterschiedlicher Feinheit sei, wobei ihr schleierhaft blieb, dass es einem gleichgültig sein kann, ob das Schleifpapier nun für Holz oder Metall geeignet sei, jedoch das Autogramm "Alfred Hrdlicka" für Sohn, Tochter oder Enkel ließ sich gewiss gegen die Unterschrift eines Unterklasse-Fußballers eintauschen.

4. Satz: Rondo
Seine Privatheit verbirgt Hrdlicka hinter Schnurren, im Schnurrenerzählen ist er Weltmeister, zumindest von Wien und Umgebung, diesem unruhigen Geist fällt einiges ein, aber ebensoviel auf, wobei sein Schmäh Gegebenheiten auf den Nagel trifft, sodass sich immer wieder Leute auf die Zehen getreten fühlen, weil Hrdlicka ausspricht, was er sich denkt, also ist er, nämlich einer, der Partei ergreift, um gegen Wahnwitzigkeiten und andere Betrüblichkeiten diversester Art zu polemisieren, die sich manche allenthalben ausdenken, statt letzteres den Pferden zu überlassen, die immer noch den größeren Kopf, aber so gut wie keinen Einfluss haben, weil sie vermutlich in den falschen Sätteln sitzen, also zäumt Hrdlicka, dessen Atelier auf dem Gelände des Wiener Trabrennvereins liegt, das Pferd vom Schwanz auf, schlussendlich konsequent in seinen Folgerungen, entsprechend dessen Handlungen, darauf trinken wir einen, dazu Mineralwasser, denn Kunst entsteht nicht im luftleeren Raum.


 
     
     
 
top