Publikationen - Leseprobe  
     
 
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Brunnenmarkt
  Der Wiener Brunnenmarkt
     
    – oder wie man in der eigenen Stadt verreist      
    Mit Fotos von Petra Rainer      
    2012: Wien, Metroverlag      
    160 Seiten      
    € 19,90      
           
               
 
     
   
 

HANS STAUD – MARMELADEN

Wir Standler sind eine Familie. Ich bin mit jedem per du, die Türken trauen sich oft nicht, haben einen großen Respekt und sagen „Chef“ zu mir. Wieso sagst du nicht du, mit den Bauernkollegen ist man per du. Ich bin auch ein Bauer, das ist so. Ich kann nicht über den Markt gehen, wenn ich schon gegessen habe, jeder will mir etwas zum Essen geben: Schau, was ich da Schönes habe. Dennoch schimpfe ich: Muss der Dreck da auf der Erde sein? Mein Vater hätte nie zugelassen, dass ein gefaulter Apfel auf den Boden geworfen wird. Das Marktamt ist da auch dahinter. Mir liegt der Markt am Herzen, er ist meine Heimat. Dafür engagiere ich mich, auf diese Weise statte ich der Gegend mein Dank ab. Ich rieche noch den Duft des Petroleumofens, als mich meine Mama als Säugling herumgeschleppt hat. Im 19. Jahrhundert hat man gesagt: wohnen, arbeiten und Freizeit verbringen. Inzwischen habe ich diese Vorgabe erreicht: Ich wohne da, ich arbeite da, auch die meisten meiner Mitarbeiter, sie vergeuden keine unnötige Zeit, gehen zu Fuß.

REGINA SEIDL – KARTOFFELN & ZWIEBELN GROSSHANDEL

Die Handwerker sind auch eine merkwürdige Sippschaft. Unlängst war meine Waschmaschine kaputt. Ich habe bei der Firma angerufen, was die Reparatur kostet? – Wollen Sie, dass wir jemanden schicken? – Wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben. – Das kostet aber Wegzeit. – Also kam der Monteur. Er wirft nicht einmal einen Blick auf die Waschmaschine. – Eine Reparatur rentiert sich nicht mehr. – Dafür verrechnet er mir die Wegzeit und eine halbe Stunde Arbeitszeit. – Mir geht der Hut hoch: Das hätten Sie mir auch am Telefon sagen können! Schon wollte er wieder abhauen. Nix da, guter Mann, Sie werden die halbe Stunde in meiner Küche absitzen. Die halbe Stunde habe ich ihn in der Küche hocken lassen.

RESTAURANT WETTER (RAETUS WETTER)

Alle Zugrasten sind Dörfler, ob sie aus Anatolien kommen oder sonst woher, aus der Schweiz, dem Appenzell, einem Dorf. Ich glaube, Dörfler mögen einander. Für mich ist die Topografie immer wichtig, nicht weil ich ein Bergler bin, vielmehr bin ich gern weggegangen von der Natur, ich brauche das nicht wirklich, aber das Gelände hier ist erhöht, zumindest empfinde ich das so. Ganz gewiss ist, dass ich eine Phobie vor Wasser habe, wahrscheinlich bin ich im vorigen Leben überschwemmt worden, doch hier ist man irgendwie oben, es ist eine Art Buckel vorhanden, als wäre dies hier der höchste Punkt, jedenfalls nach meinem Gefühl. Alles, was wirklich oben ist, das ist etwas anderes, der Wilhelminenberg ist für mich Ausland und es passiert sehr selten, dass ich hinaufgehe, mein Revier reicht bis zur Hubergasse, nicht viel weiter, eher gehe ich in den 17. Bezirk hinüber, bis zum Kalvarienberg, das passt noch hinein, weiter komme ich nicht.

FLEISCHEREI STERKL

In den letzten Jahren hat sich viel verändert. Also ich habe nichts gegen Ausländer, aber als ich hergekommen bin, waren fast nur Österreicher hier. Jetzt ist es auch schön, aber früher war es anders, viel mehr Österreicher haben eingekauft. Viele Leute sind weggezogen, und jene Leute, die hergezogen sind, kaufen nicht mehr beim Fleischhauer, sondern im Supermarkt. Die jungen Leute kochen nicht mehr gern, gehen lieber essen. In ein paar Jahren wird man uns Fleischhauer, also unsere Geschäfte, nicht mehr brauchen, wir sind langsam vom Aussterben bedroht.
Ich habe jeden Tag drei Menüs gekocht, aber dadurch, dass die Kollegin in Pension gegangen ist und wir noch keinen Ersatz gefunden haben, mussten wir damit aufhören. Ich koche zwar immer noch, aber Menüs bieten wir keine mehr an. Drei Arbeitssuchende kamen sich vorstellen: Eine ist betrunken daher gekommen und hat gemeint, sie braucht ohnedies nur einen Stempel, weil arbeiten will sie nicht. Die zweite war zwei Stunden im Geschäft, dann habe ich sie heimgeschickt, weil sie mir erklärt hat, zusammenkehren und aufwaschen komme für sie nicht infrage. So ein Personal kann man nicht brauchen. Das waren alles Österreicher. Viele schimpfen über die Ausländer, aber wenn wir die Ausländer nicht hätten, gäbe es keinen Brunnenmarkt. Und die Ausländer halten zusammen, was man von den Österreichern nicht behaupten kann. In diesem Punkt könnten wir einiges von ihnen lernen.

ELISABETH WOLF – ZAHNÄRZTIN

Viele meiner Patienten sind natürlich Türken, bedingt durch meine türkischen Assistentinnen fühlen sie sich verstanden und wohl. Insgesamt gesehen, sind aber meine Patienten bunt gemischt. Die älteren Damen sterben leider aus, schaffen es nicht mehr zu mir in den zweiten Stock.
Die dritte Generation, die hier geboren und aufgewachsen ist, kann recht gut Deutsch, mit meinen Assistentinnen sprechen sie allerdings Türkisch, weil das Spaß macht. Ich spreche mit ihnen auch gern ein paar Brocken Türkisch. Mit kleinen Kindern ist das sehr lustig, die sagen dann: Wieso redest du so komisch? Wenn ich mit ihnen Türkisch rede, haben sie weniger Angst, das funktioniert ganz toll. Ich kann alles sagen auf Türkisch, was ich mache, wenn sie antworten, wird’s sehr entspannt. Bei älteren Kindern dagegen funktioniert das gar nicht. Männer wollen das überhaupt nicht, sie sind vielmehr unangenehm berührt. Ganz schlimm ist es bei alten türkischen Damen, ich spreche sie an, schaue sie an, auf Türkisch frage ich: Wo tut’s weh, was kann ich für Sie tun? Sie schaut mich gar nicht an, fragt die Assistentin auf Türkisch: Was hat sie gesagt? Das hat mich sehr gekränkt und hat meine Motivation, mich jeden Tag zwei Stunden mit meinem Türkisch-Vokabelheft hinzusetzen, wieder eingebremst.

 
     
     
 
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