Publikationen - Leseprobe  
     
 
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  Blinder Passagier nach Petersburg
     
    2009: Oberwart, edition lex liszt
264 Seiten

     
    € 20,--      
           
           
           
           
               
 
     
 

Blinder Passagier nach Petersburg
Franz Jung (1888 – 1963)

 
   
 

Gesucht wird ein Mann namens FRANZ JUNG.
Ihm wird vorgeworfen, am 21. April 1920 den Fischdampfer
„Senator Schröder“ bei der Ausfahrt aus dem Hafen Cuxhaven
mit Unterstützung zweier Komplizen in seine Gewalt
gebracht und eine Kursänderung nach Russland erzwungen
zu haben. Er sei Delegierter der Kommunistischen Arbeiterpartei
Deutschlands und reise in deren Auftrag nach Moskau,
um dem Genossen Lenin über die revolutionäre Lage
in Deutschland zu berichten und mit ihm wegen der Aufnahme
der KAPD in die „Dritte kommunistische Internationale“
zu verhandeln. Da die Berliner Behörden keine Reisebewilligung
erteilt hatten, der Landweg somit nicht in Frage
kam, entschied die Führung der Kommunistischen Arbeiterpartei
Deutschlands, ihr Gründungsmitglied Franz Jung
auf dem Seeweg außer Landes zu bringen.
(…)
Denn Jung war nicht nur Autor, sondern ebenso Wirtschaftsfachmann.
Damit war der Lebensunterhalt eher zu verdienen
als mit der Literatur. Jedenfalls bediente sich Franz Jung
nicht nur verschiedener Pseudonyme und gefälschter Pässe,
sondern fand sich auch in den verschiedensten Berufen zurecht.
Mal verkaufte er Börseninformationen oder Wirtschaftsnachrichten,
dann war er als Versicherungsagent tätig oder
versuchte sich als Kuchenbäcker, war Barpianist oder verdingte
sich als Küchenhilfe auf einem Dampfer. Stets hatte
er eine kreative Lösung parat, um zu überleben, wiewohl er
sich das Leben meist nicht einfach machte – ganz im Gegenteil.
Es scheint, als wäre der Widerspruch für ihn eine zwingend
notwendige Herausforderung gewesen, um sich seiner
eigenen Existenz zu vergegenwärtigen.
(….)

Zwei Väter und eine Tochter –
die Bronnen’s
Eine Erzählung in Zitaten

(…)
Ursprünglich hieß Arnolt eigentlich Arnold sowie Bronner
und nicht Bronnen. Analog verwandelte sich sein Freund Brecht
vom Berthold zu einem Bertolt.
Kaum ein Schriftsteller änderte derart radikal mehrmals seine
politische Gesinnung wie Arnolt Bronnen. Stand er in seinen
jungen Jahren auf der linken Seite, wandte sich ab 1927 dem
Nationalsozialismus zu, freundete sich mit Ernst Jünger an,
war Dramaturg für die „Dramatische Funkstunde Berlin“,
dann von 1936 bis 1940 Programmleiter beim Fernsehen,
um schlussendlich als Kommunist zu enden. Von Berlin nach
Bad Goisern über Linz und Wien nach Ost-Berlin.
(…)
Er folgte dem Ruf seiner alten Freunde Bertolt Brecht und Johannes
R. Becher, der damals Kulturminister der DDR war, nach
Ost-Berlin zu übersiedeln. Jedoch dem nunmehr zum Kommunismus
Bekehrten nahmen viele seine Vergangenheit übel,
und die Bühnen der DDR ignorierten seine Theaterstücke,
selten wurden noch Texte von ihm gedruckt. Wer sich mit
dem Reichspropagandaminister Joseph Goebbels eingelassen
hatte, konnte nicht damit rechnen, dass über seine Vergangenheit
hinweggesehen wurde.

Ein vergessener Autor
Arthur Holitscher (1869 – 1941)

(...)
Obwohl Arthur Holitscher zu Lebzeiten 38 Bücher veröffentlichte,
Hausautor des S. Fischer Verlags war, sind sein
Name und sein Werk heute nahezu vergessen.
Im Mai 1933 verbrannten die Nationalsozialisten Holitschers
Bücher. Als der Autor während eines Paris-Aufenthalts von
Hitlers Machtantritt erfuhr, kehrte er nicht mehr nach Berlin
zurück, sondern emigrierte in die Schweiz.
(…)
Jedoch kaum jemand widmete diesem Schriftsteller in den
folgenden Jahrzehnten seine Aufmerksamkeit. Selbst als das
Interesse an den „Verbrannten Autoren“ aufkeimte, blieb
Holitscher unbeachtet, einer zwischen allen Sesseln: ein nichtjüdischer
Jude, weder Atheist, ebenso wenig Christ, okkultem
Gedankengut nicht abgeneigt. Den Ideen des Kommunismus
nahestehend, dennoch kein Parteimitglied, weder Proletarier
noch Bourgeois. Ein Erfolgsautor, der zahlreiche Rückschläge
hinnehmen musste, sich oftmals nicht durchsetzen
konnte, ein Autor, der mit sich selbst, den Umständen und
seinen Zeitgenossen haderte. Trotz hoher Auflagen einiger
seiner Bücher sind sie Raritäten im Antiquariat. Einer, der
sein persönliches Erleben und sein subjektives Leiden zur Allgemeingültigkeit
stilisierte.
(…)
Sein Entschluss stand fest: Anfang 1894 kündigte der knapp
Fünfundzwanzigjährige seinen Posten bei der Bank, um Schriftsteller
zu werden. Obwohl der Vater mit der Entscheidung
seines Sohnes keineswegs glücklich war, bewilligte er dennoch
ein monatliches Fixum.
(…)
Der Religion stand Holitscher skeptisch gegenüber, konnte
sich aber nie ganz davon befreien. Okkultistischen Einflüssen
nicht abgeneigt, lernte er bei einem „Magnetiseur“ Helene
Möller kennen, die Tochter eines Hamburger Großkaufmanns.
Holitscher und „Möllerchen“ heirateten 1912 in England
und richteten sich in Berlin ihr eigenes „Heim“ ein, das
Amerika-Buch brachte Tantiemen, fast perfekt die traute
Idylle. Vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurden Holitscher
und seine Frau in London überrascht.
(…)

„Meine Reaktionen auf das mich
umrülpsbrandende Zeitgeschehen“
Max Riccabona (1915 – 1997)

(…)
Nicht nur im Gespräch, sondern auch in seiner Literatur neigte
Max Riccabona zur ausufernden Darstellung, wobei die
Dauer, der ständig sich in Bewegung befindliche Erzählfluss,
für ihn wesentlich wichtiger war als der Beginn und das Ende
einer Geschichte.
(…)
Riccabona gelingt durch seine Sprachmanieriertheit eine Parodie
der Realität, wie man sie nicht nur in Wirtshäusern und
an Stammtischen antrifft, sondern ebenso in den Reden von
Politikern.
(…)

Poesie als Schamanismus
oder Schamanismus als Poesie
Christian Loidl (1957 – 2001)

(…)
Mit einem Mal war er da: Er heiße Christian Loidl.
Er war leise und zurückhaltend, fast schüchtern. Es schien,
als verberge sich hinter seinem reduzierten Auftreten eine
ungewöhnliche Persönlichkeit. Auf eine nicht greifbare Weise
unfassbar. Ein Außenseiter, der dringend danach trachtet,
keiner zu sein. Einer, der dennoch oder eben deswegen Kontakt
sucht. Am liebsten integriert werden mag und es dennoch
vorzieht, seine Ruhe zu haben, in Ruhe gelassen zu werden.
(…)
Tatsächlich hatte Christian neue Ideen und Vorschläge, die
mitunter nicht auf die Zustimmung der Mehrheit stießen.
So manches Mal konnte oder wollte man ihm nicht folgen.
Irgendwann zerbrachen sich die Vorstandsmitglieder den Kopf,
auf welche Weise eine vermehrte Präsenz des Vereins in Niederösterreich
möglich wäre.
(…)
Sein literarisches Werk kreist zwischen Poesie und Alltagssprache,
zwischen Magie und dem definiten Wissen eines
Medizinmannes. Irgendwo innerhalb dieser Schnittstellen hat
sich Christian in einem Grenzbereich etabliert, sich in diesem
Bannkreis bewegt und zurechtgefunden: Poesie als Schamanentum –
Schamanentum als Poesie.
(…)

Sowohl Reibfläche als auch Multiple
Alfred Hrdlicka

(…)
Daher warst Du auch unter den Zuhörern, als wir „Lesungen
in der Badehose“ veranstalteten, in allen möglichen Wiener
Bädern, da wir meinten, wenn die Leute nicht zu den
Dichtern kommen, dann kommen die Dichter eben zu den
Leuten. Dieser Anlass inspirierte Dich zu dem erwähnten
Porträt. (Auch aus Marmor hast Du eines gehauen.) Du warst
– und bist – für mich ein Urgestein, ein Mann, der zwischen
Kunst und Politik beeindruckend fest und sicher auf dem
Boden der Realität stand. Politik war Dir gleich wichtig wie
Kunst.

 
     
     
 
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