über Manfred Chobot  
     
 
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- Dem zarten Satiriker Manfred Chobot zum 50. Geburtstag
 
     
 
Von Wendelin Schmidt-Dengler
 
     
 
"mich ängstigt die vorstellung, total
gekannt zu werden, geöffnet und ausgebreitet
dazuliegen.
gewisse teile muß ich verstecken,
am besten vergraben
irgendwo im garten oder hinter dem haus
aber wie sie dann wieder finden?"
Manfred Chobot: Satire braucht Großstadt
 
 
     
  Diese Eintragung vom 30. 5. 1981 in Chobots "Lesebuch" will so gar nicht zum Satiriker passen, als den man ihn zu kennen meint. Da spricht einer, der sein Geheimnis hüten will, der sein Ego nicht autobiographisch promenieren lassen, sondern sich viel eher zum Verschwinden bringen möchte, der den Rückzug hinter das Haus, also sogar hinter die Privatsphäre, einem Dasein in der Auslage auf dem Marktplatz vorzieht. Doch gerade dieser Wunsch nach einer friedensbringenden Latenz erzeugt eine neue Angst: die Angst vor dem Vergessenwerden.

Denn schließlich hat da eine gesprochen, und - um die berühmte rhetorische Frage Becketts zu beantworten - uns kümmert sehr wohl, wer spricht; und in der Tat, Manfred Chobots Stimme sollte im Dröhnen der Diskurse nicht untergehen, zumal sie eine Stimme ist, die ebenso beharrlich wie geduldig das Geschehen in diesem Lande auf seine bedächtige und ebenso witzige Weise zu kommentieren verstanden hat. Freilich, massive, dicke Bücher liegen nicht vor; doch in der Summe ergeben die vielen Publikationen ein beträchtliches Quantum, das sich sehen lassen kann, vor allem deswegen, weil trotz der Konstanz der Themen doch immer wieder neue Methoden und verschiedene Genres und Gattungen erprobt werden - vom Kinderbuch, über die Verssatire, die Erzählung, den Sketch, den Features und vor allem die Lyrik, auch in der Mundart.

Die einzelnen Textgebilde sind überschaubar, sind meist filigran, aber gerade weil sie so sind, muß man als Leser auf der Hut sein: Sie scheinen leicht zu sein, so leicht, daß sie immer oben schwimmen, ja an der Oberfläche dahinflitzen: Sie bewegen sich schnell voran, sie haben das Rettungsschwimmerabzeichen längst erworben und kommen einander zu Hilfe. Da sie sich vorwiegend an der Oberfläche bewegen, liegt der Verdacht nahe, ihnen wäre die Tiefe fremd; doch die Metapher, die das Gegensatzpaar "tief" und "seicht" dem Leseverständnis applizieren will, ist unerhört trügerisch. "Die Tiefe ist außen", hat Albert Paris Gütersloh mit gutem Grund gepredigt, und allen jenen, die den Tiefsinn mobilisieren, um sich bedeutend zu machen, gehört dieser Satz ins Stammbuch. Sie verachten die Bagatellen, und wissen doch nicht, daß gerade in Österreich die Bagatelle - nicht zuletzt in der Musik von Beethoven bis zu Webern - eine sehr bewusst gewählte Kunstform ist; hier wird unter den Textautoren immer wieder der Feinmechaniker gefordert: Da muß jedes Wort sitzen, ob in Vers oder Prosa ist gleichgültig.

 
     
  GRUFTSPION UND ANDERES  
     
  Bekannt gemacht haben Manfred Chobot seine satirischen Texte, und was so mit leichter Hand für den Konsum geschrieben zu sein scheint, das ist doch auch Dokument einer meist harten Arbeit. Der satirischen Anwandlung sind wir alle fähig, nicht aber, diese Anwandlungen auch zu Papier zu bringen, und zwar so, daß sie auch ihren Gegenstand gerecht werden und das Thema nicht an den flachen Witz verlieren kann, mit dem man sich konversationstüchtig über das Problem hinwegretten will. Im Jahr 1978 legte Chobot den "gruftspion" vor, 1980 ein schmales Heftchen mit dem Titel "reform-projekte", letzteres mit einer schönen Illustration von Paul Flora - wie der Autor übrigens durchgehend darauf Wert zu legen scheint, daß seine Bücher zutreffend bebildert werden. Diese beiden Publikationen liegen schon einige Zeit zurück, und gerade satirische Texte haben das Recht aufs Altern, aber die Gültigkeit einer Satire erweist sich erst dadurch, daß sie den Anlaß, dem sie ihre Entstehung verdankt, auch zu überleben vermag. Was da bei "Frischfleisch und Löwenmaul" (wo sind die Zeiten geblieben?) einmal erschien, wirkt heute taufrisch, aber keineswegs großmäulig. Etwa ein Kürzesttext mit dem Titel "abbruch der inbetriebnahme":  
     
  "nach fertigstellung des allgemeinen krankenhauses Wien (AKH) wird es gemäß österreichischer tradition zu einer volksabstimmung kommen: abbruch oder inbetriebnahme.
aufgrund weitsichtiger und genialer planung erlaubt die beschaffenheit der betten eine weiterverwendung."

 
     
  Die Satire ist ein urbanes Genre; sie braucht die Großstadt, sie braucht das Chaos, das sie satirisch arrangieren kann. Aristophanes hatte Athen, Horaz und Juvenal Rom, Nestroy, Karl Kraus und Chobot hatten und haben Wien - ein unerschöpflicher Fundus. Der Satiriker ist ein Flaneur, der die verborgensten Winkel der Metropole kennt, der vor allem (und das ist ein zentrales Motiv durch Chobots ganzes Werk hindurch) Inspektion der Wohnungen betreibt, nicht um die Kleinbürger verächtlich zu machen, sondern um die peinigende Relevanz dieser Frage adäquat ins Bewusstsein zu heben. Im "gruftspion" wird im Text "kündigung" die fatale Mechanik zur Evidenz gebracht, die den Besitzer einer Wohnung dazu führt, sich selbst zu delogieren: der Hausherr (er hat den an Nestroysche Onomastik erinnernden Namen "haus") schickt seinen Mietern Kündigungsbriefe. Einer erreicht ihn selbst, er fühlt sich gekündigt und trudelt ins Elend hinein - ein irreversibler Vorgang.  
     
 
Die Deutung der Welt erfolgt durch die Sprache, und die Sprache wird geprägt von der Profession - auch das wußte Nestroy, dessen Figuren sich die Metaphern aus dem reichen Vorrat ihres Berufslebens holen. Der "gruftspion" hat einen bezeichnenden zweiten Titel: "sowie andere professionen". "der feuerwehrmann" hat seine Sicht auf die Dinge, und wie eng Scherz und Ernst beieinanderliegen, wenn der jeweilige Fachmann wörtlich zitiert wird, markiert der erste Satz dieses Textes: "am schlimmsten sind die leichen, sonst ist der dienst ganz angenehm; einen tag dienst, zwei tage frei." Der naive Tonfall bringt das an den Tag, was der raffinierte zu verbergen bemüht ist: "wie jedermann weiß, sind auch briefträger menschen, obwohl sie eine uniform tragen, die hierzulande blau ist, was über den geistigen zustand eines briefträgers keine aussage und bedeutung besitzt." Ein Kabinettstück ist die Konfrontation zweier Lebensläufe: "dr. alexander j. und herr hinze", der eine ist der wohlhabende Kapitalist, der andere Arbeiter. Ein Spitalsaufenthalt bringt sie beide an den selben Ort, aber nicht zueinander. Der Arbeiter kommt mit seinen Überlegungen auf der Toilette im Spital darauf, wie übel ihm in seinem Leben durch Ausbeutung mitgespielt wurde; der Kapitalist draußen wird ungeduldig und beschwert sich. Und die Lebensläufe schließen: "so lernten einander herr dr. alexander j. und herr hinze kennen; herr dr. alexander j., der sich teppert verdient hatte ... und herr hinze, der sich zum krüppel gearbeitet hatte." Ohne emphatisch die Pose des Klassenkämpfers einzunehmen, demonstriert dieser kleine "Doppelroman" den Riß, der immer noch durch unsere Gesellschaft geht, und nie hat der Autor dieses Problem verabschiedet, wohltuend in postmodernen Zeiten wie diesen, da das Wort "soziales Engagement" schon so obsolet ist, als würde es sich dabei um ein unerklärliches Verhalten aus der Zeit der Erfindung des Rades handeln.
 
Hrdlicka-Illustration zu Chobot-Buch:
Kleine große Texte als Zeugnisse der Behendigkeit
   
 
  DER SPORTSMANN  
     
  Seinen "gruftspion" schließt Chobot mit einem historischen Lehrstück: "Österreich 1933 - Österreich 1985": Sprachliche Identität macht auch inhaltliche Verwandtschaft evident. In ihr werden die Symptome erkennbar, die zur Errichtung eines autoritären Systems führen können. Was 1933 und danach Wirklichkeit wurde, das könnte - mutatis mutandis - 1985 eintreten. Der Text ist mit "Paris 1976" datiert, und das macht den zweiten Teil über 1985 zu einer kritischen Utopie. Läßt man die letzten zehn Jahre österreichischer Geschichte Revue passieren, so wird man ihm eine gewisse prophetische Ahnung nicht absprechen können.  
     
  Der Sportler hat ein sehr sensibles Verhältnis zur Materie, die er überwinden, zum Raum, den er durchqueren, und zur Zeit, gegen die er ankämpfen muß. Daß der Literatur im 20. Jahrhundert im Sport ein brisantes und ihre Qualitäten herausforderndes Thema heranwuchs, hat bereits Robert Musil erkannt, der nicht ungefähr mit ernsthaftem Erstaunen und zögernd-ironischer Zustimmung feststellte, daß die Eigenschaften des Genies nun auf einmal auch den Sportlern zugeschrieben würden: Schließlich brachte das "geniale Rennpferd" den Gelehrten Ulrich auf die Idee, ein "Mann ohne Eigenschaften" werden zu wollen. Oft reflektiert Chobot seine sportliche Ausbildung, und es geht dabei allerdings nicht so sehr um die Glorie ("heute sterne - morgen fossilien"), sondern vielmehr darum, wie der Körper und vor allem der Geist diese stete Herausforderung vertragen, wie die geradezu sakrosankten Hierarchien im Sport den Leistungsterror fördern und verschärfen:  
     
  "mit 12 wollte ich elektrotechnik studieren / und den blitz einfangen / mit 14 sah ich im bademeistertum meine zukunft / und im wasser des hallenbades / mit 16 versuchte ich in der schule durchzufallen / um mehr trainieren zu können / mit 20 habe ich endlich erkannt / daß ein leben sich nicht in zehntelsekunden erschöpft."  
     
 
Es gibt in der deutschsprachigen Literatur wenig Beispiele, in denen die fundamentale Funktion des Sports in unserer Lebenswelt so intensiv und konstant mitreflektiert wird. Daraus erklärt sich in der letzten Zeit vielleicht auch Chobots Hinwendung zu Zonen der Gesellschaft, in denen dieser Leistungsdruck nicht so verheerend wirksam wird.
"Dorfgeschichten" heißt für mich eines der schönsten Bücher, sowohl gemäß seinem Inhalt wie seiner Ausstattung mit den Photos von Manfred Horvath. Allerdings ist das nicht die Pose des Aussteigers, der sich in eine "less favoured region" unserer Heimat begibt, an der erneuten Wiederentdeckung der Provinz partizipiert und als Voyeur der Exotik der Nähe verschreibt. Chobot steckt durch präzise Daten und kurze Berichte das soziale Feld seiner Untersuchungen ab, und die genaue Beschreibung des Gekräusels der Wellen auf diesem "Stillen Ozean" macht bewußt, was darunter vorgeht, ohne dem Bericht ein moralinsaures Dressing zu verpassen. In seinen letzten Büchern zeigt sich Chobot zusehends mehr als Erzähler, doch auch wenn der Band "Dorfgeschichten" heißt, so verzichtet er doch auf die kompakte Story, die leicht
nacherzählbar wäre. Der (satirische) Erzähler bleibt gegenüber seiner Materie frei, er unterwirft den Gang der Handlung nicht den Zwängen eines anonymen Schicksals, als dessen Interpret er sich installiert und das ihm ermöglicht, mit einem deftigen Finale aufzuhören. Chobot vertraut auch in seinem letzten Erzählungsband "Der ertrunkene Fisch" blitzschnell wechselnden kaleidoskopischen Arrangements; keine großen Szenen, aber große Verbrechen in kleinen Dimensionen. Widersprüche in unserem Alltag, die sich nie als Idylle fixieren läßt.
 
     
  Die kleine Form, die von Chobot so gepflegte Miniatur, die Momentaufnahme - für sie genügt ein Minimum an Zeit: Da hat der Schriftsteller dem Sportler etwas abgeguckt. Auch wenn Chobot für sich die Bedeutung der Zehntelsekunden verabschiedet hat, er weiß mit der Zeit umzugehen, und seine kleinen großen Texte sind Zeugnis einer anmutigen Behendigkeit. Der Autor ist der Fülle an Sekunden in einem fünfzigjährigen Erdendasein gerecht geworden: Es sind, Schaltjahre eingerechnet, deren 1,568.923.200, fürwahr ein gewaltiges und gut genütztes Zeitbudget.  
     
  Wendelin Schmidt-Dengler, geb. 1942, ist Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Wien und seit 1995 Leiter des Literaturarchivs
der Österreichischen Nationalbibliothek.
 
     
     
     
 
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