Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension von „Blinder Passagier nach Petersburg“ – Denkendorf Stephan
Podium, Nr. 153/154
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
Der Gruftspion
 

Manfred Chobot

       
   

Blinder Passagier nach Petersburg
Essays und Interviews.

     
   

Brosch.

     
   

264 S.

     
   

edition lex liszt 12, Oberwart 2009,

     
   

20,-- Euro

     
           
               
 
   
     
     
 

Manfred Chobot: Blinder Passagier nach Petersburg (Essays und Interviews)
Edition Lex Liszt 12, Oberwart 2009, ISBN 978-3-901757-90-7

Schon lange habe ich kein Buch mehr gelesen, in dem so viel drin steht. Interessant ist es außerdem. Manfred Chobot gehört (im Gegensatz zu mir) zu jener seltenen Spezies Mensch, die immer merkwürdigen und bemerkenswerten Leuten begegnet. Auch unter bereits Verstorbenen macht Chobot garantiert eine Entdeckung, die sonst niemandem gelingen mag. Wer nur die Titelgeschichte dieser Sammlung liest, ist emotionell voll ausgelastet.
Aber sie ist nur der Anfang. Manfred Chobot ist in geschichtlichen Entwicklungen  des vergangenen Jahrhunderts ebenso beschlagen wie in Literatur und Bildender Kunst. Er stößt unweigerlich auf Vertreter dieser Gebiete, deren Buntscheckigkeit, Lebensdrama, Könnerschaft oder Prophetie auch eher Unbekannte zum Zentrum werden lassen. Der daraus entstehende Essay gefällt sich aber keineswegs in verschmitzt wissendem Geplauder oder belehrender Monotonie. Was hier vor sich geht, ist die Kunstfertigkeit eines Berichterstatters oder Interviewers, der auch selbst oft nicht aus dem Staunen herauskommt. Diese Frische teilt sich unmittelbar dem Leser mit. Auf diese Weise wird man auch auf Gebiete geleitet, in denen man vielleicht weniger Überblick besitzt: wie etwa im Interview mit Jorge Semprún über den Spanischen Bürgerkrieg, die Franco-Diktatur, sowie die Rolle der spanischen Kommunisten in diesen Zeitabschnitten.
Auf alle Beiträge dieses Buches, die in diversen Printmedien ungefähr der letzten 20 Jahre erschienen sind, hier im einzelnen einzugehen, ist unmöglich. Auch läßt diese Auswahl an Veröffentlichungen nur ahnen, wie viele andere es noch zu lesen gäbe. Am Ende des Buchs wird klar, daß es eben diese Vielseitigkeit und Umtriebigkeit ist, die einen regen Geist auszeichnet. Dennoch stellt sich Manfred Chobot in den Essays und Interviews nie in den Vordergrund, benützt das Thema nie zur Selbstdarstellung. Er bleibt immer der Erzähler, Beobachter, allenfalls Stichwortgeber, um der präsentierten Persönlichkeit den Raum zur völligen Entfaltung zu geben. Lediglich bei seinen Worten für Alfred Hrdlicka kann sich auch Manfred Chobot  persönlichen Emotionen nicht entziehen und man begreift, was Künstlerfreundschaft bedeutet: Wertschätzung der Person und des Werks. Und eine geradezu geschwisterliche Zuneigung und Verbundenheit in Kopf und Herz, mögen auch gewisse Standpunkte nicht übereinstimmen. Was übrigens der generelle Ansatz zu sein hätte, wenn man sich mit Kunst und Künstlern beschäftigen will. Wozu dieses Buch nicht nur vehement auffordert, sondern auch gleich umfassende Zugänge öffnet.

Stephan Denkendorf

 
 
 
 
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