Ausgewählte Kritiken - Rezensionen | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Manfred Chobot | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Chobot_Genie ((5 Sterne)) Auch Arschlöcher darf man lieben "Genie und Wahnsinn" war eine der wenigen Vorlesungen meiner Studienzeit, die in meinem Gedächtnis haften blieben. Zumindest in Bruchstücken. Von Arschlöchern war damals nicht die Rede. Obwohl ich das Glück hatte, dass allzu miefige Lehrveranstaltungen selbst in Zürich durch Sitzstreiks ersetzt wurden. Aber irgendwie spürten selbst die 68er-Revolutionäre, dass ihre eigenen Helden unter die Räder kommen, wenn am Geniekult gerüttelt wird. So konnten sich Brecht, Sartre, Schmidt, Benn, Heidegger, Adorno und wie sie alle hießen, ohne großen Schaden über die Runden retten. Die Losung "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich" hat offenbar überzeitlichen Charakter. Zur Sehnsucht nach der heilen Welt gehört eben auch die Sehnsucht nach heilen Helden. Kommt hinzu, dass der Geniekult auch mit einer Vorstellung von Wahrheit verbunden ist, die ebenso verständlich wie naiv ist. Lieber schöne Worte, an die wir glauben können als hässliche Taten, die uns zum Wegschauen zwingen. Der Herausgeber, Manfred Chobot, hätte dieses Buch wohl auch alleine schreiben können. Tat er aber nicht, sondern beschränkte sich auf ein paar Vorbemerkungen und den Beitrag über den Radikal-Plagiator Richard Billinger. Klingt nach wenig, ist es aber nicht. Denn für die übrigen Kapitel geeignete Autoren zu suchen und dem Ganzen eine Struktur zu geben, ist sehr viel anspruchsvoller als viele meinen. Weil Manfred Chobot diese Aufgaben so souverän gelöst hat, bekommt der Leser Huhn und Ei. Alle Autoren können schreiben, haben sich intensiv mit ihrem ausgewählten Genie-Arschloch auseinandergesetzt und folgen trotzdem wie von unsichtbarer Hand geführt einem roten Faden. Die Kurzbiografien der Autoren überzeugten mich, hinterließen jedoch die Frage, warum sich Schriftsteller immer als frei bezeichnen müssen. Wer in diesem Sammelband von 360 Grad-Beurteilungen genauer unter die Lupe genommen wird, steht bereits in der Produktebeschreibung von Amazon. Dass es aber auch Spaß macht, über Prominente zu lesen, die im eigenen Gala-Gedächtnis nicht gespeichert sind, merkte ich bei Richard Billinger. Denn so persönlich die einzelnen Portraits auch sind, stehen sie doch alle für Prototypisches. Die 15 Schwarz-Weiß-Portraits werden aber auch zu Mustervorlagen für allgemein Menschliches, weil die Autoren so stark auf die Moralbremse treten, dass wir auch das Arschloch in uns entdecken. Jedenfalls erging es mir so. Erträglich war dies aber, weil wir Menschen ja mit der Gabe ausgestatten sind, uns die Geschichten zusammenzureimen, die zur eigenen Biografie passen. Mein Fazit: Der Herausgeber und die sorgsam ausgewählten Autoren haben ein ebenso heikles wie spannendes Thema fantastisch aufbereitet. Es wird Klartext gesprochen, ohne dass der Moralfinger so penetrant erhoben wird, dass man den vorgestellten Genies nicht mehr auf Augenhöhe begegnen kann. Kurz: Ein Buch, das alle lesen sollten, die ihre Helden auch dann noch lieben können, wenn sie von deren dunklen Seiten erfahren. Werner T. Fuchs |
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