Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „projekte“ – Peter Henisch  
„Neue Wege“, Heft 266, Oktober 1973
   
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
Der Gruftspion
  „Projekte, eine Ylluschtrierte.“
     
    Mit Collagen des Autors      
    Gersthofen: Maro Verlag, 1973, 50 Seiten      
    Helmut Zenker: „Wer hier die Fremden sind.“ Neuwied: Luchterhand-Verlag, 139 Seiten      
           
   

 

     
           
               
 
   
     
     
 

Auf sehr verschiedene Weise gehen diese beiden in den „Neuen Wegen“ erstpublizierten Autoren an die Realität heran. Chobot gebraucht die Mittel des Sprach¬spiels, der Montage, der Collage, kurz: primär auf den Materialcharakter der Sprache bezogene und sich zuweilen verselbständigende Techniken. Zenker dagegen ist die Sprache tatsächlich nichts weiter, als ein (mit perfekter Nüchternheit beherrschtes) Mittel zum Zweck. Chobot spielt auch inhaltlich, etwa in dem überaus amüsanten Projekt zur Verwendung mutierter Sängerknaben. Zenker sind die Inhalte, die er vermitteln will, zu ernst, um damit zu spielen. –
Nicht bloß zwei verschiedene Menschen- und daher Autorentypen stehen einander hier gegenüber, sondern auch und besonders zwei praktische Ausformungen gegensätzlicher Literaturtheorien. Beiden Autoren geht es nach ihren eigenen Aussagen um die Annäherung an die Wirklichkeit. Chobot versucht diese Annäherung auf experimentelle Weise, sein Buch ist geprägt von einem sich selbst nicht so tierisch ernst nehmenden Understatement. Zenker gibt seinem Buch vom ersten Satz an („Ich bin aus der kinderleeren Klasse gegangen, nachdem ich auf dem Schreibtisch eine Ordnung [bestimmt nicht die meine] hergestellt habe“) Bedeutung. Chobots Buch kann man nicht nacherzählen: es ist geschickt gemacht, stößt ein paar Tabus an, ironisiert die eigene Kritik. Zenkers Buch enthält eine handfeste Geschichte. Ein Ehemann und Volksschullehrer bricht aus Ehe und Volksschule aus. Der Ich-Erzähler versucht die Erfahrung subjektiver Unangepaßtheit zur objektiven zu machen. Daß Zenker in dieser Ich-Erzählung eine totale Identifikation zwischen sich selbst und seinem Anti-Helden zumindest nahelegt, ist die nur seinen Bekannten merkbare Halbwahrheit des auf Wahrheit (= eigene Erfahrung) bedachten Romans. Wie und warum da die Erfahrungen eines anderen, wirklich Unangepaßten, integriert wurden, steht leider nicht drin. Chobots Buch erhebt derlei Ansprüche auf selbsterfahrene Wahrheit nicht. Was täglich in den Zeitungen steht, ist als lächerlich oder haarsträubend (und wahrscheinlich kommt der zweite Aspekt in den „Projekten“ zu wenig heraus) manipulierte Wahrheit offenkundig.

Peter Henisch

 
 
 
 
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