Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Lesebuch“ - Moser Gerhard  
Volksstimme, 27./29. März 1987
   
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
„Chobot-Lesebuch“
  "Chobot-Lesebuch"
     
    1987: Wien, Frischfleisch &      
    broschiert      
    vergriffen      
           
           
           
               
 
   
     
 

„Club 2“ und Atomwaffenpoker

 
     
 

„Das Wesen der Tugend ist Widerstand“ – den Ausspruch Periklis Korovessis hat der Wiener Autor Manfred Chobot seinem jüngst bei „Frischfleisch & Löwenmaul“ erschienenen „Lesebuch“ vorangestellt. Wer Chobots Texte, aber auch den Menschen Chobot kennt, weiß, daß es sich dabei um keine unverbindliche Floskel handelt.
Das „Lesebuch“ macht sich vor allem um zwei Dinge verdient: Hier sind auf etwas mehr als 150 Seiten Texte versammelt, die zumeist schon veröffentlicht worden sind, die man sich aber in diversen Literaturzeitschriften oder gar Ausstellungskata­logen zusammensuchen hätte müssen. Zum zweiten entsteht durch den vertretenen Formenreichtum ein ebenso inhaltlich reiches Bild vom Autor Chobot, das aber trotz allem niemals zu einer schillernden Figur eines wie auch immer gearteten Literaturbe­triebs führt, sondern einen an allen Fronten gegen die Unmenschlichkeit Widerstand Leistenden zeigt.
Gleich am Beginn des Bandes steht die autobiographische Erzählung „Auf der Suche nach den verlorenen Sekunden – Ein Autor sucht seine Siege.“ Chobot schildert seine (jugendlichen) Erfahrungen als Vereinsschwimmer, manchmal distanziert, zumeist aber mit einem spitzbübisch zurückblickenden Lächeln auf Funktionäre und Meisterschaften. Eine Erzählung, in der sich jeder wiederfindet, der seine frühen Jahre bei irgendeinem Sportverein zugebracht hat. Eine Erzählung, die übrigens beim „Lesezirkelwettbewerb für Kurzgeschichten“ im vergangenen Jahr eingereicht worden war und meiner Meinung nach völlig unverständlich von einer Auszeichnung durch einen Preis verschont geblieben ist. (Vielleicht mag die Jurybe­setzung – Manfred Mixner und Thomas Pluch – ein Grund dafür gewesen sein.)
Einen großen Teil des „Lesebuchs“ machen „Eintragungen“ aus – Tagebuch­notizen, Traumprotokolle. Prosaische Momentaufnahmen, die andernorts entweder als Vorläufer „größerer Formen“ erliegen oder als „außerlyischer“ Ersatz für Reisen in irgendwelche Innerlichkeiten herhalten, stehen hier ohne großen Anspruch. Darunter finden sich auch Anmerkungen zu aktuellen politischen Ereignissen – etwa der Mittelamerikapolitik der USA – zum österreichischen „Sozialpartnersyndrom“ (…“alles ist in butter, während selbiger sich zu einem berg auswächst“ – S. 72) oder zu einem Besuch in der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Buchenwald.
„Von Mitzi O. bis Mixi Pick“ nennt sich ein weiterer Abschnitt, der vor allem in Ausstellungskatalogen veröffentlichte Texte enthält. Etwa die „sinfonische Dichtung in vier Sätzen für Alfred Hrdlicka“ aus dem Katalog zur Ausstellung Alfred Hrdlicka in der Akademie der Künste in Berlin/DDR.
„Florian, Flipper, Flattermann und Co.“ wiederum ist eine amüsante Stammtisch­schilderung eines Wiener Wirtshauses. „Rauschgiftschmuggel“ ein Kurzhörspiel, konstruiert den Ernstfall am Zollamt: Die Rechtslage hat sich gewendet, Alkohol wurde zum Rauschgift erklärt – bereits fürs Vierterl macht man sich strafbar.
„Der kleine Finger oder die öffentliche Hand“ ist das Protokoll eines „vorstell­baren ‚Club 2’ über eine Unvorstellbarkeit namens Kunst“ – unter den Diskutanten befinden sich SP-Fischer, VP-Busek und ein Kulturkritiker von der „Zeitung mit dem großen Horizont“.
„Zur Lage der deutschen Grammatik“ ist ein Versuch, der von der „wertfreien“ Grammatik zum Rechtsruck und zum Polizeistaat führt. Das „infernalische Spiel im Theater der nuklearen Bedrohung oder supermächtiger Atomwaffenpoker“ beschließt den Band. Ein Szenario, das am Rande einer Friedensdemonstration angesiedelt sein könnte – Passanten diskutieren mit Kundgebungsteilnehmern. Den einzelnen Passanten aber hat Chobot Aussprüche der NATO-Größen in den Mund gelegt. Wer da rüstet und die Welt an den Rand des Abgrunds drängt, wird sehr schnell klar.
Wer also Chobot und seine Texte bislang nur von Friedensdemonstrationen oder vom „Linken Wort“ beim Volksstimme-Fest kennt, sollte sich das „Lesebuch“ besorgen.

 
   
 
Gerhard Moser
 
 
 
     
     
 
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