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Die Gedichte
und BildGedichte "nach dirdort" präsentieren Manfred Chobot
mit seiner Doppelbegabung als Lyriker und Fotograf. Ein Nachwort mit dem
Orientierungssignal "eine erweiterte Biografie" von Helga Cmelka
- gleichermaßen sensibel, kenntnisreich und klug mit der Beimischung
von Witz und Ironie verfasst - und ein Verzeichnis über Entstehungsort
und Entstehungsjahr der Fotos (BildGedichte) erweisen sich als wertvoller
Informations-Apparat.
Der Teilzyklus "der bauch im kopf" mit Liebesgedichten, die
Abschiede und Neubeginne, Glücksmomente und Trennungen enthalten,
angereichert durch Gedichte, die Essfreuden und Naturbeobachtungen, aber
auch die Formulierung von Ängsten, Gebrechen und Defiziten, von Freundschaftsgefühlen
und deren Umschlagen in Enttäuschungen nicht aussparen, leitet über
zu sieben Gedichten über ein durchaus nicht idealisierendes Vater-Erlebnis
gegenüber einem Kleinkind "wechselbad mehrmals täglich"
und im weiteren zu Widmungen an Dichter- und Malerfreude oder Idole der
spätpubertären Selbstfindung (u. a. Friederike Mayröcker,
Hermann Schürrer, Karl Anton Fleck, Hans Staudacher, Wolf Vostell,
Henri Michaux, Gunter Damisch und zweimal 125 Jahre Hermann Hesse).
Die zentralen Erlebnisse des Todes der Großmutter (für M. Ch.
als Kind) und des Vaters (für M. Ch. als Erwachsenen) werden aufgearbeitet
ohne Sentimentalität und vorgespielte Vertraulichkeit, sechs Gedichte
mit dem Inhalt "Todestag meines Vaters" steht das Bekenntnis
von der Vermeidung des Besuchs seines Grabes gegenüber, Entfremdung
schwingt zwischen den Zeilen mit, und das Glaubensbekenntnis, dass es
ein Leben nach dem Tod nicht gibt, keinen Neuanfang.
Litaneien und Balladen, Gebete und Oden stehen Reiseerlebnissen mit Ortstafel-Aufzählung,
den Sprüngen von Guatemala über Ötztal und Bratislava bis
Schönbrunn und den Friedhof der Namenlosen, Meditationen über
Krieg und Unsicherheit, Selbstporträts und einen Antrag auf eigene
Entmündigung mit der Begründung des Fehlens genauer Kenntnisse
der Preise von Backwaren gegenüber.
Die Lobversatzstücke wie "Kosmos" oder "Universum"
sollen tunlichst vermieden werden, doch die Vielfalt der Themen und die
Reichweite der sprachlichen Ausdrucksformen lassen die Wertung und Beurteilung
dieses Buches als großen lyrischen Wurf mit dem Attribut einer außergewöhnlichen
Sammlung von Fotokunstwerken eines Reisenden mit "quick eyes"
zu, eines Reisenden, der kein auf Baedeker-Sterne fixierter Vorbeireisender
ist, sondern das gleichzeitig einfache und komplizierte Menschenleben
und die Wirklichkeit der dinglichen Materie von Hagenbrunn bis Hawaii,
von Prag bis zum Titicacasee, von Rom bis Jerusalem, von San Francisco
bis Peking im Alltag, in der Verfalls-Nuance, in der Armut und Armseligkeit,
in der vergeblichen Bemühung und im misslungenen Versuch festhält
und dabei keinesfalls denunziert.
Einige charakteristische Verszeilen oder Gedichtteile seien als Abschluss
zur primärliterarischen Illustration zitiert: "oasensage / schneller
ist kein kamel / durch den sand die spuren / einer pille depressiv nach
/ dirdort steigert den exzeß / die berührung der bewaffneten
/ göttinnen und halbgötter / am ende ihrer kräfte / eine
oase ohne grün / zeuge dir selbst / eine palme" oder "wechselbad
mehrmals täglich / wenn du mienen spielend schläfst / in meinem
arm lächelst / lachen meine streichelhände / über deinen
kopf / zerspringen meine empfindungen / deiner existenz willen / möchte
dich meine zuneigung / erdrücken // wenn du mit hochrotem kopf /
mich schreiend peinigst / daß es dir die stimme / verschlägt
/ könnte ich dich zerdrücken / auf der stelle / an die wand
schmeißen / zornerfüllt" oder "weil ich dich liebe
/ punkt strich punkt punkt / kurz kurz / punkt / lang und dreimal kurz
/ punkt / lerne ich deinetwegen / morsen / über kurz oder lang /
hörst du / meine botschaft / töne von wichtigkeit / für
mich / kein neues alphabet / will ich erfinden / um dich abzulenken /
von dir / selbst".
Alfred
Warnes
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