Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension "Dorfgeschichten" - Hermann Schlösser  
Wiener Zeitung, Freitag, 13. August 1993
   
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Dorfgeschichten
     
    1992: Weitra, Bibliothek der Provinz      
    gebunden      
    € 15,00      
           
           
           
               
 
   
     
  Landleben im Zwielicht - Manfred Chobot und Richard Wall schreiben neue Dorfgeschichten.
Von Hermann Schlösser
 
     
 

"Dorfgeschichten" waren immer schon eine zwiespältige literarische Angelegenheit. Einerseits wurden sie nämlich für das dörfliche Publikum verfasst, zur erbaulichen Belehrung, gelegentlich auch zur politischen Aufklärung, jedenfalls aber in Formen, die einem bäuerlichen, literarisch ungeübten Publikum zuzumuten waren. Diese Art von Dorfgeschichte wurde meist nicht in Büchern verbreitet, sondern in Kalendern, Hauspostillen und ähnlichen Periodika. Zu hausbackener Moral gesellte sich dabei meist eine politisch reaktionäre Gesinnung und eine eher dürftige literarische Qualität. Ausnahmen von der Regel gibt es allerdings auch: Johann Peter Hebels "Schatzkästchen des Rheinischen Hausfreunds" heißt die literarisch bedeutendste.
Andererseits sprach das Genre der Dorfgeschichte schon im 19. Jahrhundert auch das städtische Publikum an. Dies hängt wesentlich mit dem Phänomen der "Landflucht" zusammen. Viele, die ihre Heimatdörfer verließen und in die Großstadt übersiedelten, bewahrten sich eine nostalgisch getönte Sehnsucht nach den ländlichen Wurzeln. Und wie wäre diese bequemer zu befriedigen gewesen als durch die Lektüre von Büchern Berhold Auerbachs, Peter Roseggers oder Ludwig Anzengruber?

Mithin ist die literarische Gattung "Dorfgeschichte" also "gekennzeichnet durch ihren soziologischen Ort auf der Grenzscheide zwischen bäuerlicher und städtischer Lebenshaltung." So steht es im "Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte", das unter Germanisten auch als "Merker-Stammler" nach den Namen seiner beiden Herausgeber bekannt ist.

Daß das literaturwissenschaftliche Handbuch nach wir vor recht hat, zeigt sich u.a. an zwei unlängst erschienenen Büchern, die mit unterschiedlichen Mitteln am literarischen Projekt "Dorfgeschichte" weiterarbeiten: Manfred Chobots "Dorfgeschichten" nämlich und Richard Walls Kurzprosaband "Sommerlich Dorf". Hier wird die oben erwähnte "Grenzscheide" nicht verleugnet oder übersehen, sondern ausdrücklich zum Thema gemacht. Allerdings richtet sich diese neueste Dorfprosa nicht mehr ausschließlich an Landbewohner oder an Städter. Sie macht ja gerade auf die Vermischung des Ländlichen mit dem Städtischen aufmerksam, die sich überall in Europa beobachten läßt. Die Texte, die dabei entstehen, unterscheiden sich von den tradierten Formen der "Dorfgeschichte" durch Ambivalenz. Zwiespältig war die Dorfliteratur schon immer, heute ist sie jedoch auch zwei-, wenn nicht sogar mehrdeutig.

Gewiß versetzt Manfred Chobots Buch "Dorfgeschichten" die Leser schon durch seinen Titel in vertraute ländliche und literarische Umgebungen. Auch das Foto auf dem Schutzumschlag unterstreicht dies aufs deutlichste: Zwei Frau und ein Mann sind hier abgebildet, die durch ihre Kleidung den Eindruck des österreichisch-ländlichen hervorrufen. Mit ihren Kittelschürzen, Kopftüchern, Manchesterhosen stellen sie zwar keine poetischen "Landleute" mehr vor - wohl aber prosaische "Landwirte". Vorrangig prosaisch geht es dann auch in Chobots Texten zu. Die Rede ist vom Burgenland, genauer gesagt von den Ufern des Neusiedler Sees. Und zur Sprache kommt vor allem das, was soziologisch ausgedrückt vielleicht "Strukturprobleme der Region" heißen könnte: Auswirkungen des Fremdenverkehrs auf die Lebensweise der Einheimischen, Verfilzung der lokalen Behörden mit potenten Geldgebern, Verstädterung des ländlichen Raums, Bausünden, Generationenkonflikte und dergleichen mehr.

Freilich handelt Chobot all dies nicht wissenschaftlich ab. Dies widerspräche dem Gattungsschema der "Dorfgeschichte". Er erzählt stattdessen Episoden, in denen die Probleme des ländlichen Lebens aufgezeigt werden, ohne daß sie ausdrücklich als Probleme benannt werden müssten. Nüchtern und meist wortkarg umreißt Chobot die Szenerie: ...

Aus der Summe solcher Kurz- und Kürzestgeschichten setzt sich dann Chobots burgenländischer Mikrokosmos zusammen. Er wird ergänzt durch Farbfotografien Manfred Horvaths. Mit bildnerischen Mitteln werden hier ähnliche Ziele verfolgt wie in den Texte: Bestandsaufnahmen des Landlebens, im ganzen geprägt von Arbeit und Eintönigkeit, zuweilen aber trotzdem idyllisch grundiert.

Manfred Chobot lebt in Wien. Woher seine Kenntnis des Burgenlandes stammt, verschweigt er nicht: Er hat ein Haus dort, das er zeitweise bewohnt. Immer wieder erzählt er in Ichform auch von seinen Empfindungen auf dem Lande. Manchmal fühlt er sich zugehörig, dann wieder ausgeschlossen, wenn nicht gar abgestoßen vom ländlichen Leben. Diese Ambivalenz durchzieht Chobots Buch von Anfang an und wird auch am Ende nicht gelöst. Wie sollte sie auch? Schließlich entspricht sie genau jenem Zustand der Nachbarschaft auf Zeit, die ein Großstädter mit Ferienhaus in einem Dorf bestenfalls etablieren kann. Ungebrochene Idyllen sind dabei nicht zu erwarten.


 
   
 
 
 
 
     
     
 
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