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Doppelte Schrauben, fünffache Salti und ein umwerfendes Wasserballett.
Von Susanne Marschall
Manfred Chobot erzählt eine wundervoll schräge und fantasievolle Flohgeschichte
„Eine Gemeinheit ist das, hat man so etwas schon erlebt! Das ist wirklich und wahrhaftig und echt das Letzte, was sag ich, das Allerletzte und Superletzte.“ Florian ist sauer. Stinkesauer, was auch kein Wunder ist: Sein Bett ist spurlos verschwunden. Bernd kann es erst gar nicht glauben und verdächtigt Florian, es selber in irgendein Eck geschoben zu haben. Aber dann fällt ihm auf, dass sein Zimmer anders aussieht als sonst: Seine Malstifte sind aufgeräumt, und es liegen keine Autos oder Bauklötze auf dem Boden herum. Da muss wohl seine Mutter ordentlich gewütet haben: „Es war höchste Zeit, denn was du alles aufhebst, dein Zimmer war die reinste Mülldeponie. Wir werden uns deinetwegen noch jede Menge Ungeziefer in der Wohnung züchten, Läuse und Flöhe und was weiß ich, was sonst noch.“
Wenn Bernds Mutter wüsste, dass sie schon längst mit Ungeziefer zusammenwohnt, würde sie wahrscheinlich einen Anfall bekommen: Bernds Freund Florian ist nämlich ein Floh. Ein Menschenfloh. Und beim Aufräumen hat die Mutter Florians „Wohnzündholzschachtel“ weggeworfen. Bernd findet sie zwar im Müll wieder, aber „durch die Feuchtigkeit hat sich die Papierumhüllung gelöst, hängt wellig und zerfetzt von den aufgeweichten Holzteilen, der Boden ist eingedrückt.“ Eine Reparatur lohnt sich also beim besten Willen nicht mehr. Bernd weiß, dass er keine Streichholzschachtel mehr hat, aber eine stabile Weckerverpackung. Und nach stundenlangem emsigen Basteln ist Florians neue Behausung fertig: eine Luxusvilla mit Fenstern und Türen, bunt angemalt, die er in sein Bücherregal stellt – „ganz hinten ins sicherste Eck.“
Schuld an Bernds extravagantem Haustier ist eigentlich seine Oma: Weil sie ihn immer „Floh“ nennt, brennt er darauf, einen „echten“ zu sehen. Was sich allerdings als recht schwierig erweist, da es bei uns kaum noch Menschenflöhe gibt, und auch im Zoo werden keine gehalten. Aber so schnell gibt Bernd nicht auf: Er rast mit seinen Freunden Andreas, Günther und Gabi von einem Tiergehege zum anderen, dass seine Oma beim Affenkäfig schlapp macht und dringend eine Pause braucht. Und da passiert es dann: „Auf Bernds Finger ist ein winziger dunkelbrauner Punkt,“ der sich als Florian Floh vorstellt, Saltos springt und sich wie ein Zirkusclown verneigt. Natürlich geht Florian, der für Erwachsene „weitgehend unsichtbar“ ist, mit dem überglücklichen Bernd nach Hause. Und damit beginnen die lustigen, spannenden, skurrilen Abenteuer für Bernd und seine Freunde:
Im Zirkus pfuscht Florian den Artisten mit einer bombastischen Privatvorstellung ins Handwerk - die Kinder, und nur die sehen ihn, sind hellauf begeistert. Er nimmt die Freunde zu seinem Vetter Wassilij Wasserfloh mit, der sie mit doppelten Schrauben, fünffachen Salti, einem umwerfenden Wasserballett verzaubert, und Bernd geht mit in die Flohschule, wo selbst Babys unterrichtet werden im Springen, Hüpfen und richtigem Stechen: „Lippentaster ansetzen, Stichstelle wählen, Innenladen der Unterkiefer wölben – und saugen.“ Bei Florians Geburtstagsparty lernen die Kinder auch noch Sebastian Sandfloh kennen, Gabriel Gletscherfloh und Wilfried Wüstenfloh, der 157 Mal in fünf Wochen umsteigen musste, um rechtzeitig zur Party zu kommen. Und dann kommt auch noch die ganze Flohmannschaft mit in die Ferien ans Meer…
Tiergeschichten gibt es viele: von sympathisch tolpatschigen Bären, piratenmutigen Schafen, abenteuerlustigen Bienen… Aber einen Floh zum Hauptdarsteller zu machen, ist schon ziemlich kühn und außergewöhnlich. Erst recht, wenn es sich um einen Menschenfloh handelt: Ungeziefer – igittigitt – kaum sichtbar, so winzigklein. Aber der Biss ist dann schon zu sehen, wenn er Blut gezapft hat: ein kleiner, fieser, roter Hubbel, der höllisch juckt. „Wir müssen leider damit rechnen, dass sich fast alle unsere Ernährer wehren, weil sie sich nicht freiwillig Blut abnehmen lassen möchten“, sagt Professor Dschamp in der Flohschule zu Bernd: Denn „die meisten Menschen sind geizig und wachen über jeden einzelnen Blutstropfen, als wäre es ihr letzter.“ Kess, neugierig und draufgängerisch ist Manfred Chobots Protagonist obendrein, und er weiß ziemlich genau, was er will: neue Freunde, mit denen er spielen kann und Neues entdecken.
Chobot erzählt eine wundervoll schräge und fantasievolle Flohgeschichte in einer eingängig einfachen Sprache mit witzigen Dialogen. Vor allem Florian und seine Flohfreunde sind originell und einfallsreich charakterisiert, dass man die hüpfende und springende Flohschar nicht mehr als blutsaugendes und widerwärtiges Ungeziefer betrachtet, sondern als kleine Persönlichkeiten, die eben auch essen müssen. Und ganz nebenbei lernt man noch ziemlich viel über die verschiedenen Floharten. Wundervoll sind auch die kindlich anmutenden Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Ernst Zdrahal, der auf seine ganz eigene Art die Geschichte illustriert: Mal sind es Panorama-Ansichten, mal kleinere Ausschnitte des Geschehens, und manchmal zoomt er ganz nah heran, dass man „die kleinen Härchen an den Flohbeinen“ sieht, „die Dornen, Borsten und Stachelkämme überall auf dem Körper.“
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