Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Blinder Passagier nach Petersburg“ – Elfriede Bruckmeier  
Literarisches Österreich, Nr. 2020/1
   
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
Der Gruftspion
 

Manfred Chobot

       
   

Blinder Passagier nach Petersburg
Essays und Interviews.

     
   

Brosch.

     
   

264 S.

     
   

edition lex liszt 12, Oberwart 2009,

     
   

20,-- Euro

     
           
               
 
   
     
     
 

Aufsätze in Zeitschriften und Features im Radio haben nicht den Bestand, den so manche von ihnen verdienen. Wenn ein Verlag  bereit ist,  eine Auswahl solcher Texte herauszubringen ist der interessierte Leser dankbar.

In einem Band wie diesem, der 16 Aufsätze und Interviews mit den unterschiedlichsten Personen vereinigt, sucht man zunächst nach Gemeinsamkeiten, und es wird schnell klar, dass es sich bei den Beschriebenen überwiegend um skurrile Typen, um Außenseiter der Gesellschaft handelt. Chobot, der Satiriker, könnte sich leicht selbst in diese Kategorie einreihen – daher wohl das große Verständnis für Abseitiges in Politik, Literatur und bildender Kunst. Aber hier spricht nicht der Satiriker, ganz im Gegenteil-

Die Titelgeschichte ist dem Autor und Kommunisten Franz Jung gewidmet und trägt viel zum Verständnis der expressionistischen Dichter (und Künstler) bei. Die haben ihren Traum verwirklichen wollen ohne Rücksicht auf sich und die Nächsten, und  konnten nur so schreiben. Dazu kommt auch noch das katastrophale Zeitgeschehen der 20er und 30er Jahre. Ihre Dichtkunst war gelebte Anarchie. Der seltsame Weg des Arnolt Bronnen von Wien nach Berlin, nach Bad Goisern, und dann über Linz und Wien in die DDR, und gesinnungsmäßig von links zum Nationalsozialismus und retour zum Kommunismus ist schon erstaunlich. Auch hier ist privates Chaos vorhanden. Man kennt die Tochter Barbara Bronnen als Autorin eines schönen Toskana-Buches, und nun lernt man auch ihr ambivalentes Verhältnis zum Vater kennen. Der Autor Bronnen, Freund von Bertolt Brecht, als Bürgermeister von Bad Goisern – man kann sich das eigentlich nicht vorstellen! Hier wäre anzufügen, dass die Lebensbilder der längst verstorbenen und wenig bekannten Autoren in den ersten 5 Aufsätzen genau recherchiert sind, was teilweise sicher viel Arbeit erforderte.

Im Mittelteil lernen wir den Politiker und Autor Jorge Semprún und den FLUXUS-Künstler Wolf Vostell kennen, von letzterem lesen wir viel über die zu jener Zeit aufkommenden Happenings und deren Abgrenzung zu den Performances. In den Aufsätzen über die Gugginger Künstler nimmt sich Manfred Chobot mit viel Hochachtung und Warmherzigkeit dieser Menschen an, das gilt natürlich besonders auch für das Interview mit Leo Navratil, dem das „Haus der Künstler“ zu verdanken ist.

Und dann kommen Persönlichkeiten, die die Rezensentin selbst gekannt hat! Den Dschi-dschei-i Wischer von Christine Nöstlinger zum Beispiel. Auch dem Christian Loidl, früh verstorbener „Schamane“ der heimischen Literaturszene, unvergessen als Mastermind des PODIUM, wird hier ein Denkmal gesetzt. Die drei letzten Begegnungen gehören den skurrilsten Typen und begnadetsten bildenden Künstler der jüngsten Vergangenheit: Othmar Zechyr, Karl Anton Fleck und Alfred Hrdlicka. Man schmunzelt, wenn man liest, dass Zechyr die Konstruktionszeichnungen des Studenten Chobot als seinen Beitrag zu einer Ausstellung der Sezession beisteuerte. Und seine ständige Geldnot, komplett mit Pfandleiher und Gerichtsvollzieher, erinnert an die Pariser Bohème der 1900er Jahre. Karl Anton Fleck (KAF) war ein Gesamtkunstwerk, gleichermaßen genial als Grafiker, Dichter und Musiker, in seiner Maßlosigkeit früh verglüht. Chobot war ihm ein treuer Begleiter.

Über Alfred Hrdlicka könnte man Bände füllen. Hier sind es zwei Texte, die viel über den Bildhauer mit politischen Ambitionen aussagen. Das Katalogvorwort ist inzwischen zum Nachruf geworden.
Lesenswert!

 

 
 
 
 
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