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Der Witz bei langen Reisen ist, dass sich die Welt inzwischen verändert und man schon allein deshalb als ein völlig anderer zurückkommt.
Manfred Chobot und seine Frau Dagmar haben sich zur Goldenen Hochzeit wie in einem Märchen eine Welt-Kreuzfahrt geleistet. Sie checken in Hamburg ein, und als sie nach etwa vier Monaten dort wieder für immer an Land gehen, hat sich die Welt verändert. Jede Aktivität wird mittlerweile unter dem Stern des Klimawandels beurteilt, jeder Satz auf die Goldwaage gelegt, ob nicht beim Sprechen zu viel CO2 in die Atmosphäre geblasen wird. Und eine Schiffsreise ist inzwischen wegen Schweröl, Overtourism und skandalösen Arbeitsverhältnissen unter Deck zum größten No-Go geworden, das man sich als Rentner antun kann.
Unter diesem Gesichtspunkt muss man sich als Leser fast schon entschuldigen, dass man ein Logbuch einer bemerkenswerten Kreuzfahrt liest. Und der Autor, als tapferer Revolutionär bereits in diversen Literaturgeschichten vorgemerkt, bekommt nun ein schmerzhaftes Kapitel verpasst: Wie erlahmen Revolutionäre, wie überwintern ihre Ideen?
Manfred Chobot nimmt das Schiff als mobile Bühne, auf der persönliche Befindlichkeit, Schiffskultur und Weltlage aufeinandertreffen. Im Idealfall kommt zuerst die Tagesverfassung zur Sprache, die ja im Alter zum entscheidenden Faktor wird. Denn wer mit dem falschen Fuß aufsteht, hatscht damit durch den ganzen Tag, was immer auch um den lädierten Körper herum geschieht. Aber der Autor ist die 116 Tage hindurch in bester Verfassung, zumal es genug zu essen, trinken und rauchen gibt.
Essen, Trinken, Rauchen sind auch die Hauptdarsteller im sozialen Gefüge, das am Schiff täglich neu installiert wird. Da geht es um Raucherzonen, wer darf wem wo den Rauch ins Gesicht blasen, was angesichts des schwer arbeitenden Schornsteins eine ziemlich belanglose Frage ist. In einer Interview-Tour befragt der Autor auch Köche, Sommeliers und andere Zuständige für das Leibliche, was sie alles einkaufen und welche Unmengen verzehrt werden. Diese Schiffswelt zeigt in nuce, wie es auf der großen Welt zugeht, die man so nebenbei in vierzig Häfen berührt.
Anhand der Anlandungen lässt sich auch für ein paar Stunden jeweils die sogenannte Kultur inspizieren. Das Unternehmen ist insofern sehr frivol, als etwa die Geschichte an den Küsten Brasiliens mit Schiffen aufgebaut, erledigt und abtransportiert worden ist. Die Kreuzfahrtschiffe legen in Herrschaftsmanier an und spucken satt Sklaven Touristen aus, die alles als Show begreifen, weil es ja auf dem Schiff täglich Shows gibt. Zu den einzelnen Anlegestellen sind im Logbuch auch historische Zusammenhänge eingewoben. Manfred Chobot wird in diesen Stunden zum leidenschaftlichen Soziologen, der mithilfe der Kunst die Hintergründe unsichtbarer Geschäfte zu ergründen versucht.
Die eingeklebten Schnappschüsse sind als Anti-Selfie gedacht, die Chobots posieren dabei als antitouristische Face-Installation jeweils mit Sonnenbrille vor irgendwelchen Sehenswürdigkeiten, die auf Wikipedia ohnehin klarer zu erkennen sind. Am Schiff wiederum entwickeln sich seltsame Gespräche, in denen die Reisenden oft ungefragt ihre Biographien erzählen nach dem Motto, nicht nur in den Vorstädten gibt es unverwechselbare Individuen, auch auf dem Kreuzfahrtschiff hat jeder seine Macke, die er sich erst verdienen hat müssen. Einen starken Eindruck hinterlässt jedenfalls einer, der schon ein Leben lang unterwegs ist und nur ab und zu heimfährt, um in einer Excel-Datei einzutragen, was er schon alles gesehen hat.
Manfred Chobot nimmt das Leben am Schiff als Schreibunterlage, auf der sich das Ringen der Menschheit nach Sinn bestens aufschreiben lässt. Denn alles während der Reise ist scheinbar zufällig, wiewohl es genau geplant ist. Die Menschen buchen nicht Kilometer, sondern Seemeilen von Sinn, sie lassen sich unterhalten, damit sie nicht zu sehr in sich hineinhorchen müssen. Für das Ehepaar Chobot dürfte es eine schöne Reise ins eigene Lebenswerk gewesen sein, das sich selbst für sinnvoll hält und sich nicht mit Ablenkungen beschäftigen muss. Trotzdem meint der Autor am Schluss, dass er genug hat, er wird sobald nicht mehr wieder eine Weltreise dieses Ausmaßes antreten, vierzig Häfen und 61.000 Kilometer sind genug.
Vielleicht sollten wir Leser dieses Logbuch wie die guten alten Reiseberichte lesen, die ja auch nur deshalb verfasst worden sind, damit die anderen sich nicht diese Mühe antun müssen. Und wir dürfen ja wegen des Klimas gar nicht mehr reisen, so ist das Chobot‘sche Logbuch der letzte Reisebericht aus einer Welt, als es noch ungerecht, verdieselt und heillos überfüllt zugegangen ist.
Helmuth Schönauer
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