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Es gibt nichts Liebloseres und Grausameres als die nächste Umgebung
Manfred Chobots „Franz ? Eine Karriere“ blickt hinter die Fassaden der „Normalität“
Reißerische Schlagzeilen finden sich fast täglich auf den Titelseiten so manch einer Boulevard-Zeitung. Der Autor Manfred Chobot hat sich u.a. von diesen aus dem historischen als auch zeitgenössischen Fundus inspirieren lassen und 13 außerordentlich spannende Geschichten in seinem neuen Buch „Franz ? Eine Karriere“ versammelt, die gekonnt Gefundenes und Erfundenes, Fakten und Fiktion vereinen. Der Mantel, den Chobot über die Erzählungen legt, ähnelt Aufhängern von Zeitungen, die er mit eigenen inhaltlichen Varianten befüllt, sie weiterschreibt oder verfremdet. Hinter dem vordergründigen Geschehen der Erzählungen, hinter dem scheinbar Banalen des alltäglichen, beschaulichen Lebens offenbart sich das Grauen. Hinter den idyllischen Fassaden der Figuren und deren Beziehungsgeflecht verstecken sich zumeist fragwürdige (Doppel-)Identitäten, welche von den Mitmenschen nicht bemerkt oder gar ignoriert werden.
„Adam und Eva oder Rummelplätze“ erzählt von der Entführung des vierjährigen Mädchens Clara und deren fünfundzwanzigjähriger Gefangenschaft. Unter Gewaltandrohung macht sich der Entführer Adam das junge Mädchen gefügig, sich als seine Tochter auszugeben „Du bist meine Tochter, denk daran. Du sollst es niemals vergessen. Ich dein Vater, du meine Tochter. So du es vergisst, muss ich deinem Gedächtnis nachhelfen, was recht unangenehm für dich ausfallen kann. Meine Hand vermag einiges, sogar allerhand. Meine Hände sind sehr geschickt. Besser, du legst es nicht darauf an, dass sie dich schlägt.“ (13) Die Entführung bleibt vom nahen Umfeld unbemerkt, das Mädchen geht zur Schule, hinterlässt dort einen „angenehmen Eindruck“ (15). Das Verbrechen funktioniert anfangs mit dem Rückzug von Täter und Opfer aus dem sozialen Umfeld. Der Klavierunterricht wird zum Fluchtort für das Mädchen, für den Entführer hingegen bedeutet er der Verlust der „Normalität“, und diese Gefährdung des Scheins wird mit Misstrauen korrigiert. Ist es in der ersten Geschichte ein Rummelplatz, „ein riesiger Spielplatz, wo ganz besonders viel los ist, wo es alles gibt, von dem du lange geträumt hast, wo du am liebsten alle Tage verbringen möchtest, niemals willst du genug davon kriegen“ (Adam, 11), wo die Verlockung seinen tragischen Ausgang nimmt, so finden sich im Erzählband weitere Verlockungsorte. In „Stationen oder Mir selbst auf den Fersen“ wird die Sprache selbst zum ersten Fluchtort aus dem Ehe-Martyrium. „Die chinesische Sprache war meine Insel, auf die ich mich jederzeit zurückziehen konnte“ (Sylvia, 125), ihr folgt der Ortswechsel ins Sprache-Traumland China und die Verschleierung der wahren Identität. Mehrere Stationen der Flucht hat auch Georg („Maler im Kloster“) vor sich. Verborgen vor der Öffentlichkeit und dem Vater schreibt sich der Medizinstudent heimlich an der Kunstakademie ein, startet als Maler Hide (!) erfolgreich eine Karriere und wird nach dem Verlust seiner Bilder Mönch auf dem Berg Athos. Dort knapp dem Tod entkommen, bricht seine erneute Flucht an einem unbekannten Ort ab. Für die Juristin, Alleinerzieherin und Karrieristin Brigitte“ verwandelt sich der ersehnte Fluchtort, ein Zweitwohnsitz in Marbella, in einen Ort des Schreckens mit Suizidversuch, Schulden und Arbeitslosigkeit („Ausgefuchst in Marbella).
Theaterhistorisch interessant ist Chobots Erzählvariante der wahren Geschichte des jüdischen Schauspielers Leo Reuss, dem 1936 in Wien eine der spektakulärsten (Doppel)Täuschungen gelang: Mit falschen Papieren und Namen (Kaspar Altenberger, Bühnenname Kaspar Brandhofer) sowie seiner vorgetäuschten bäuerlichen Herkunft gelang ihm für kurze Zeit, das von der Blut-und-Boden-Ideologie bereits infizierte Publikum und die Presse an der Nase herumzuführen.
Mit dem Erzählband „Franz ? eine Karriere“ liefert Manfred Chobot beklemmende wie bestechende Alltagsanalysen, den Focus immer auf die Abgründe menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns gerichtet. Seine Figuren handeln ohne Empathie, deren Sprache lässt keinen Platz für Gefühle zu. Subtile Gewalt sticht aus den Worten heraus, wenn der Ich-Erzähler sachlich von den Geschehnissen berichtet. Gekonnt spielt der Autor mit der Verflechtung von Schein und Sein, Macht und Ohnmacht, Wahrheit und Lüge. Schonungslos sind seine Beschreibungen, und so manch unerwarteter Schluss lässt den Leser/die Leserin staunen. Empfehlenswert!
Sigrid Kramer
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