Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Franz - Eine Karriere“
Barbara Zeizinger
Matrix, Pop Verlag
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Manfred Chobot        
    Franz – Eine Karriere.
13 Erzählungen
     
    Mit einem Vorwort von Ulf Birbaumer.      
    2017: Wien, Löcker
Broschur
     
    244 Seiten      
    € 19,80      
           
               
 
   
     
     
 

Erzählungen mit doppeltem Boden

„Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ Unter diesem Titel hat der Philosoph Richard David Precht vor mehr als zehn Jahren ein erfolgreiches Buch geschrieben, und dieser Titel fiel mir ein, als ich die dreizehn Geschichten in Manfred Chobots Erzählband, Franz - Eine Karriere gelesen habe. Denn viele seiner Geschichten handeln von der Suche nach Identität oder mit der Lust in verschiedene Rollen zu schlüpfen.
Am deutlichsten wird das in der Geschichte der nicht unterscheidbaren Zwillingsschwestern, die bezeichnenderweise Anna und Maria im Doppelpack heißt. Da gibt es nicht nur in der Familie ständig Streit, wer denn nun wer sei, sondern irgendwann gibt sich niemand mehr die Mühe, die Zwillinge zu unterscheiden. Ihre Doppelexistenz führt dazu, dass sie sich selbst den Ehemann teilen. „Ob er die Hochzeitsnacht mit Anna oder Maria verbrachte, erfuhr er nie.“ Beide Frauen werden schwanger, Hans hat für zwei Frauen, einen Sohn und eine Tochter zu sorgen. Kein Wunder, dass der Mann irgendwann überfordert ist und sich seine Spur in Luft auflöst.
„Wir haben unsere Identitäten vollends aufgegeben“, heißt es an einer Stelle im Text. Dies mag das extremste Beispiel innerhalb des Bandes zu sein, doch bereits die nächste Erzählung trägt den Titel Identitäten eines Schauspielers. Sie erzählt die wahre Geschichte eines jüdischen Schauspielers, der sich während des Nationalsozialismus in einen Dialekt sprechenden Salzburger Bauern verwandelt, als angeblicher Dilettant und Naturtalent wieder Erfolge im Theater feiert und somit alle zum Narren hält.
In der Geschichte Stationen oder Mir selbst auf den Fersen, verrät schon der Titel, das irgendjemand vor sich davonläuft. Und so muss Sylvia mehre Stationen ihres Lebenswegs durchlaufen, bis sie als Gerda ihren Platz findet. „Eine Sylvia hat es nie gegeben.“
Auf der Suche nach dem richtigen Leben für sich ist auch Georg, der aus familiären Gründen Medizin studiert, sich aber aus Leidenschaft zur Malerei heimlich an der Kunstakademie eingeschrieben hat. Da er viel Erfolg hat, bleibt es nicht aus, dass sein Doppelleben irgendwann auffliegt. Georg, voller Schuldgefühle seinem Vater gegenüber, ändert sein Leben, sucht Buße im Kloster Athos. Dort holt er sich eine schwere Lungenentzündung. „Zwei Monate blieb Georg im Spital. – Und überlebte. In das Kloster kehrte er nie mehr zurück.“
Was Georg anschließend macht, erfährt der Leser nicht. Wie auch in anderen Geschichten lässt Manfred Chobot die Handlung offen enden. Hans löst sich in Luft auf. In der Geschichte Adam und Eva oder Rummelplätze verschwindet ein sechsjähriger Junge spurlos. Die Vermutung liegt nahe, er sei umgebracht worden, aber wissen kann der Leser es nicht.
Einige Geschichten beginnen ganz harmlos, wie Franz  - Eine Karriere, die dem Band den Titel gegeben hat. Franz war fünfzehn, heißt es am Anfang und etwas später Franz war Lehrling in einem Lebensmittelgeschäft. Doch ehe sich der Leser versieht, wird ihm im Verlauf der Handlung der Boden unter den Füßen weggezogen, wenn er liest, wie der in Phantasiewelten lebende Junge in eine psychiatrische Klinik eingewiesen und zunehmend stillgestellt wird. „Er wird Einspritzlöcher haben und willig seine Medikamente nehmen. Franzi brav, bist ein braver Mann, Bussi Franzi. Er wird davon reden, dass sich einer als Bub einen Wellensittich gewünscht hatte, der im Käfig sitzt, damit die Mauern ihn vor den Menschen und ihrer Ordnung schützen werden, die ihm das Nachplappern gelehrt hatten.“
Dies ist die bitterste Geschichte im Band. Aber auch andere Protagonisten kommen, wenn auch weniger dramatisch, mit ihrem Leben nicht zurecht und sind letztlich einsam. Da wäre Das Hobby des Herrn Horst, das darin besteht als Womanizer eine (natürlich junge) Frau nach der anderen aufzureißen und sie, um nicht durcheinander zu kommen, von Alpha bis Lambda durchnummeriert. Oder die angeblich so clevere Steuerberaterin Brigitte. »Lass die Finger von diesem José«, möchte man ihr zurufen, denn in Ausgefuchst in Marbella bedient sich dieser einheimische Romeo dem alten Trick einer vorgetäuschten Liebe, um an Brigittes Geld zu kommen.
Fast alle seine Figuren scheitern, schreibt Ulf Birbaumer in seinem Vorwort. Und so steckt in Manfred Chobots lakonischer Erzählweise immer mehr als auf den ersten Augenblick sichtbar zu sein scheint. Er begibt sich tief in die Psyche seiner Figuren und somit in die der Gesellschaft. So wundert man sich nicht, dass sich in der vorletzten Geschichte Herr Gott auf die Couch von Sigmund Freundlegt, weil er an seiner Schöpfung zweifelt.
Einzig Ein gewisses Fräulein Else bewegt sich in ihrer eigenen, von englischen Vokabeln gespickten Welt. Im Gegensatz zu der von Arthur Schnitzler geschaffenen Namensschwester, hat sie keine Probleme, sich für ein gewisses Salär vor einem reichen Herrn nackt zu zeigen. Statt wie Schnitzlers Else aus Verzweiflung Veronal zu schlucken, lässt Manfred Chobot seine Else in dieser kabarettistischen Erzählung ein opti Selfie mit dem Dorsy machen.

Barbara Zeizinger

 

 

 
 
 
 
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