Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Straßen des vergänglichen Ruhms – Dichter auf dem Wiener Stadtplan“
Gabriele Folz-Friedl
Driesch, Zeitschrift für Literatur & Kultur, Nr. 20/2014
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Manfred Chobot        
    Straßen des vergänglichen Ruhms – Dichter auf dem Wiener Stadtplan      
    Mit Beppo Beyerl      
    2014: Wien, Löcker      
    236 Seiten      
    € 19,90      
           
               
 
   
     
     
 

Ruhmstraßen

Beppo Beyerl und Manfred Chobot haben (in jeweils eigenen Kapiteln) zusammen in Kompendium mehr oder weniger vergessener Autoren verfasst, die alle – mit Ausnahme Selma Lagerlöfs (vielleicht zufällig die wohl am wenigsten vergessene der vorgestellten Persönlichkeiten) – irgendwie Bezug zu Wien aufweisen, bzw. deren Leben und Wirken schwerpunktmäßig in Wien stattfand. Gründlich recherchiert und mit Akribie entwerfen sie so, abgesehen von den Lebensbeschreibungen der diversen Autoren, zudem ganz nebenbei, ein Sittengemälde des vergangenen Wiens vom 18. Jahrhundert herauf bis, zum Beispiel mit Alma Johanna Koenig oder auch Leo Perutz, annähernd in die unlängst verflossene Gegenwart Mitte des vorigen Jahrhunderts.

Man möchte das Buch beinahe als eine Art Nachschlagewerk betrachten, so gespickt ist es mit Details und Fakten, eine Art russischer Puppe, deren Kreuz- und Querbezüge bekannter mit weniger bekannten historischen Personen, Gebäuden, Institutionen ineinander verschachtelt sind wie in einer solchen Matrjoschka und immer wieder verblüffende Perspektiven eröffnen: wer zum Beispiel mit wem bekannt, verschwägert, liiert, befreundet, verfeindet oder von wem engagiert war. So hatte zum Beispiel die später als „Jugend“ in Raimunds „Der Bauer als Millionär“ so berühmte Therese Krones in einem Stück von Adolf Bäuerle (Adolf Bäuerlegasse, 20. Bezirk) – dieser wiederum Schöpfer des „Staberls“ – ihren „Durchbruch“. Und dies wiederum an dem damals sehr wichtigen und bekannten „Theater in der Leopoldstadt“, 1947 niedergerissen und unter dem Namen „Carltheater“ neu erbaut – Uraufführungsstätte vieler Nestroystücke – nach Zerbombung 1944 endgültig abgerissen. Eine Stadtgeschichte Wiens, die sich in den diversen Namen und Persönlichkeiten spiegelt.

Nicht immer haben die Verfasser den Eindruck, dass jene zu Unrecht dem Vergessen anheimgefallen sind – durch die reichlich vorhandenen zitierenden Textstellen kann man sich leicht davon überzeugen, und nebenbei auch davon, dass zeitgenössischer Ruhm nichts mit Qualität zu tun hat und auch nicht dauerhaft zu sein braucht. Der einstmals berühmte Dichter, Haus- und Hofdramatiker des Burgtheaters Eduard von Bauernfeld (Bauernfeldgasse, 19. Bezirk) mag dafür ein Beispiel sein.

Zu den dank der feministischen Bewegung auch in der Gegenwart durchaus präsenten Persönlichkeiten gehört auch Rosa Mayreder (Mayredergasse, 22. Bezirk), geradezu ein Säulenheilige einschlägiger Literatur, die im vorliegenden Kapitel von Beppo Beyerl doch mit recht kritischen Augen betrachtet wird. Hervorgehoben werden in diesem Sinn das mangelhafte Demokratiebewusstsein Mayreders, ihr fehlendes Gespür für die eigene privilegierte soziale Stellung, ihre Ablehnung des Frauenwahlrechts, die Rechte der Frauen überhaupt bis hin zur Erwähnung gewisser persönlicher und emotionaler Defizite. Jedenfalls fügt diese Art der Betrachtungsweise einer bedeutenden Frau mit unleugbaren Verdiensten einige interessante Facetten hinzu.

Manche Autoren – dazu gehört der sogenannte „Arbeiterdichter“ Alfons Petzold (Alfons Petzoldgasse, 23. Bezirk) wünschte man durchaus wieder größere Beachtung; sein Roman „Das raue Leben“ wäre immerhin, nicht nur, aber auch, als Zeitdokument sogar heute noch lesenswert. Dass er später gerade durch dieses Werk von den Nazis als „Blut- und Bodenliterat“ vereinnahmt und als solcher empfohlen wurde, dagegen war er wie so viele Andere machtlos.

Zu jenen Autoren, denen man im Bewusstsein der Gegenwart größere Präsenz wünscht, gehört auch der Sachse Johann Gottfried Seume (Seumegasse, 12. Bezirk), Freund berühmter Zeitgenossen, wie Heinrich Friedrich Füger (Maler), Christoph Martin Wieland (Literat) und Emmanuel Schikaneder, der unter anderem das Libretto zu Mozarts „Zauberflöte“ verfasste. Ausgerechnet dem notorischen Weitwanderer, der zu Fuß die halbe Welt bereiste, widmete Wien eins der kürzesten Gässchen der ganzen Stadt – was wohl nicht seinen satirischen Schilderungen des Wiener Dialekts der hiesigen Beamtenschaft etc. zuzuschreiben ist, die noch heute ergötzlich zu lesen sind. Seume war ein Verfechter, ja ein Philosoph der ursprünglichsten und unmittelbarsten Form der Fortbewegung, nämlich des Gehens, das für ihn beinahe so etwas wie ein Allheilmittel gegen alle Übel der Welt war, zusammengefasst in den trockenen Worten: „Es ginge alles besser, wenn man mehr ginge.“ Lesenswert seine überaus anschaulichen und humorvollen Reisebeschreibungen, sowie die Schilderungen der frühen Jahre seines abenteuerlichen Werdegangs mit dem schlichten Titel „Mein Leben“.

Es würde zu weit führen, alle die auf ihre Weise in ihrer Vielgestaltigkeit erwähnten Literaten im Detail zu würdigen. Chobot und Beyerl haben hier mit kritischem, aber auch wohlwollendem Blick, mit einer Unzahl angeführter Einzelinformationen einen Text verfasst, den es lohnt, immer wieder zur Hand zu nehmen, darin nachzuschlagen und zu schmökern. Eine Fundgrube für alle Liebhaber Wiens und dessen Geschichte.

Gabriele Folz-Friedl

 

 
 
 
 
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