Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Mit Krimis gegen die Krimitis“ – „Das Killer-Phantom. 36 Mini-Krimis“
Helmuth Schönauer
Literatur und Kritik, Nr. 503/504
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Manfred Chobot        
    Das Killer-Phantom. 36 Mini-Krimis      
           
    Hardcover mit Schutzumschlag      
    2015: Wien, Löcker
214 Seiten
     
    € 19,80,–      
    ISBN 978-3-85409-768-6 / 3-85409-768-9      
               
 
   
     
     
 

Mit Krimis gegen die Krimits

Manfred Chobots „Mini-Krimis“

Dem Vorwurf der Krimitis auf den Leim zu gehen, die allgegenwärtig in Österreichs Städten und entlegenen Regionen in Österreich wütet, begegnen besonnene Autoren mit der Entschuldigung, sie müssten ihre Familie ernähren und das sei in der augenblicklichen Gesellschaftslage nur mit einem Krimi möglich.
Bei Manfred Chobot zählt das Ernährungsargument nicht, als Chronist Österreichs, der über Jahrzehnte jährlich einen Befund in Gestalt eines Romans abliefert, hat er sich längst von jeder Währung frei geschrieben. Umso erstaunlicher die Tatsache, dass er das Krimi-Genre zumindest im Untertitel anklingen lässt, offensichtlich heißt in einer allgemeinen semantischen Verschiebung der Roman jetzt in Österreich Krimi.
So hat Manfred Chobot in seinem Untertitel zum „Doktor Mord“ zwar das Unwort Krimi stehen, seine 52 Kurzgeschichten um Leben und Tod haben aber etwas anderes im Sinn. Ähnlich wie in den Fallgeschichten und Lebensläufen bei Alexander Kluge geht es um biographische Highlights von Alltagshelden. Was passiert, wenn jemand seine Durchschnittlichkeit auf die Spitze treibt? – Es endet jeweils mit Mord und Totschlag.
Bei 52 Mini-Krimis gehen sich wöchentlich ein Jahr lang wilde Geschichten aus, wie sie sich am Sozialamt, in den Sub-Kulturen der Beisl oder am Gericht tatsächlich Tag für Tag abspielen.
Gleich die erste Story zeigt die Verquickung von Alltag, Schicksal und Sehnsucht, daraus auszubrechen. Eine Frau kommt in den Flammen um, offensichtlich ist es beim Bügeln geschehen, dass alles in Brand geraten ist. Aber es ist der Lover, der gesteht, manchmal auch gewalttätig sein zu müssen. Er wird verurteilt, aber etwas später gesteht der Mithäftling, dass er die Tat begangen hat. Der Lover wird begnadigt und verlässt stracks die Kleinstadt. In dieser Fallgeschichte sind Motiv, Tat, Irrtum und Strafe völlig zufällig verteilt. Die Helden nehmen ihr Schicksal lapidar zur Kenntnis, das Gesetz mahlt mit seiner Mühle eine Runde, die Gesellschaft wird durch diesen Fall kein bisschen besser oder schlechter.
In ähnlicher Coolness kommt jemand wegen der Scheidung in der Badewanne um, jemand spezialisiert sich auf Versicherungsbetrug, um das Häusl fertig bauen zu können, ein anderer räumt die Firmenkonten leer, um eine schnelle Liebe zu stillen und Dr. Mord schließlich wird eines doppelten Verbrechens bezichtigt, er soll sein Opfer synchron erschossen und erwürgt haben, was schließlich zu einem Freispruch führt.
Die Fälle spielen sich in unauffälligem Milieu ab, jeder von uns kann betroffen sein, sowohl als Täter als auch als Opfer. Am ehesten sind es noch die Stoffe und Motive, die ein wenig Ordnung in das scheinbar zufällige Verbrechen bringen. Die Liebe führt die Beteiligten oft letal zusammen, auf der Jagd spielen sich auch unter Menschen Hinrichtungen ab, wenn nebenher auf das Wild geschossen wird, das Geld ist ohnehin der größte Motor für Verbrechen, und oft ist es auch die Aussicht auf einen qualvollen Tod, der jemanden die Sache beschleunigen lässt, indem er beim Abgang noch jemanden mitnimmt.
Wenn sich jemand mit dem Krimi Auge über diese Fälle hermacht, kriegt er in nuce ein paar Laufmeter Krimispannung vorgesetzt: Wer mit dem soziologischen Auge liest, dem erschließt sich die österreichische Seele, wie wir sie aus dem Chronik-Teil der Zeitungen gewohnt sind. Wer sich an einer guten Erzähltheorie laben will, wird begeistert sein von der Kunst der Kaltnadelradierung, mit der die Figuren scharf gestochen und erstochen sind. Hier grüßt der Altmeister Alexander Kluge und hat Wohlgefallen an Doktor Mord.
Manfred Chobot schreibt nicht nur verlässlich in Jahresringen, manchmal spaltet er das Jahr auch Halbjahresbände auf. Sein „Killer-Phantom“ liest sich daher wie eine Fortsetzung des „Doktor Mord“.
Das Killer-Phantom tritt vor allem leise und unspektakulär auf. In der Titelgebenden Eingangsgeschichte kommt es in halb Europa zu unerklärlichen Mordfällen, die auf einen hyper-mobilen Täter schließen lassen. Als man den DNA-Spuren genauer auf die Pelle rückt, ergibt sich einen mordende Fratze, die offensichtlich weiblich und voller Durchschnittswerte ist. Nach Monaten stellt sich heraus, dass die Wattestäbchen, mit denen die Spuren am Tatort aufgelesen worden sind, selbst bereits von einer Stäbchen-Mitarbeiterin verunreinigt worden sind. Der Fall geht durch alle Medien, weil er die Schwachstelle eines scheinbar deppensicheren Systems zeigt. Was nützt mir alle Analyse, wenn ich unter falschen Voraussetzungen zu analysieren beginne?
Manfred Chobot, ganz realistischer Schriftsteller mit dem Blick für die Alltagslage, verschafft dem Fall des Killer-Phantoms eine neue Relevanz, indem er die Geschichte als Fiktion erzählt. Letztlich sind alle Fälle ein präpariertes Narrativ, das wir uns ausmalen, um den Fall aushalten zu können.
Unter dieser Prämisse gibt es in der Folge jede Menge letale Ungereimtheiten aus der Welt der kleineren und mittleren Kriminalität. Betrug, Diebstahl, Stalking, Mobbing, Seitensprung und Testamentsfälschung sind oft jene Entladungen, mit denen das Individuum Druck aus dem Leben zu nehmen versucht. Manches Vorgehen endet tödlich und wird für natürlich gehalten, anderes bleibt rätselhaft und der Akt wird geschlossen.
„Sterben und Erben“ nennt sich der große Bottich, worin diese Fälle schwimmen, bei denen jemand durch Beiseite-Räumen des Testaments oder überhaupt des Erblassers sich etwas materielle Erleichterung verschafft. „Lügen und Betrügen“ ist jene Abteilung überschrieben, worin sich Täter eine persönliche Moral zulegen oder ein Geschäft ein wenig ins Illegale ausdehnen.
Über allem steht das Recht, das, so gut es geht mit Augenmaß gesprochen wird. Dabei kommt diese österreichische Spezialität zum Zuge, wonach die Dinge sprachlich scharf aber in der Handlung mit Augenzwinkern erledigt werden müssen.

Helmuth Schönauer

 

 
 
 
 
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