Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Doktor Mord. 52 Mini-Krimis“
Michael Stradal
Literarisches Österreich, Nr. 2015/2
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Manfred Chobot        
    Doktor Mord. 52 Mini-Krimis      
           
    Hardcover mit Schutzumschlag      
    2015: Wien, Löcker
220 Seiten
     
    € 19,80,–      
    ISBN 978-3-85409-749-5 / 3-85409-749-2      
               
 
   
     
     
 

Der seit mehr als vierzig Jahren wiederholt ausgezeichnete und preisgekrönte Autor hat dem großflächigen Mosaik seines literarischen Oeuvres einen neuen, bemerkenswerten Stein hinzugefügt. Er widmet sich der Kriminalliteratur, besser gesagt der Kriminalberichterstattung in Zeitungen, Zeitschriften, im Rundfunk und Fernsehen und sammelt daraus zweiundfünfzig massive Straftaten aus aller Herren Länder und packt sie in ein durchaus handliches Büchlein, rabenschwarz eingebunden, mit aufregendem Cover.
Dem Titel nach vermutet der Leser zunächst, Mordgeschichten über Mediziner, Rechtsanwälte oder Richter vorzufinden, allerdings wird er schon beim Studium des Inhaltsverzeichnisses eines gänzlich anderen belehrt. Chobot gliedert seine Findlinge in fünf grobe Motivgruppen, zu welchen die jeweiligen Straftaten in etwa zuordenbar sind. Die Grenzen verschwimmen natürlich, aber das stört überhaupt nicht. Zwölf Fälle sind unter ‚Bilanz der Liebe‘ zusammengefasst, weitere zwölf unter ‚Tod eines Jägers‘, das Kapitel ‚Sicherheit hoch Sicherheit‘ bringt acht Fälle, unter ‚Geld und Gier‘ sind neuen Fälle angeführt und unter ‚Einladung zum Begräbnis‘ finden sich elf, teilweise recht kuriose Untaten.
Zweiundfünfzig Mini-Krimis auf rund zweihundertzehn Seiten, da lässt sich leicht errechnen, dass jeder Mini-Krimi durchschnittlich nicht mehr als vier Seiten stark sein kann. Und so ist es auch. Fast alle Minis sind kurze, nüchtern und neutral beschriebene Kriminalfälle und sind – würden sie den Umfang eines echten Kriminalromans haben – etwas ausführlichere Exposés. Mit dem einzigen Unterschied, dass alles gesagt wird, was zum Fall dazugehört. Tat, Motiv, Täter, Urteil und Bestrafung. Freilich nicht immer, denn es werden auch Fälle dargelegt, bei welchem der Übeltäter nicht gefunden werden konnte oder beispielsweise ein Mord vielleicht ein Selbstmord war.
Diese knappe Berichterstattung bei jedem einzelnen Fall bedingt natürlich eine literarische Verkürzung von Inhaltselementen. Handelnde Personen können nicht charakterisiert werden, Überlegungen und Umwege bei der Aufklärung werden nur sehr selten dargelegt, ebenso fehlen Angaben über das weitere Leben von mitunter schwer traumatisierten Betroffenen.
Das will der Autor auch gar nicht, sondern es geht ihm darum, uns vor Augen zu führen, dass – siehe Coverstatement – das Kriminelle quer durch alle Gesellschaftsschichten geht und so gut wie alle Bereiche des Lebens umfasst. Täter und Betroffene sind Menschen wie du und ich, deren kriminelle Energien für niemanden merkbar sind. Das ist das einzig Beunruhigende an den Fällen, die sich größtenteils durchaus auch in unserer unmittelbarsten Umgebung ereignen könnten.
Das es unter all den geschilderten Morden, Betrügereien, Entführungen, Steuerhinterziehungen, Brandstiftungen, Giftmischereien und sonstigen Untaten auch Außergewöhnliches findet, davon zeugen die Geschichten ‚Der Goldschatz‘ (geradezu unglaublich), ‚Die Stadt Namenlos‘ (sehr österreichisch), oder die Ich-Erzählung ‚Der Groß-Vater‘, in welcher der Bindestrich im Titel von Bedeutung ist. Einige Geschichten erinnern an Verbrechen, die Jahre zuvor durch die heimischen Zeitungen gegangen sind, der Fall ‚Gefesselt‘ zeigt deutlich, dass vorgefasst Meinungen der Eltern ein Kind psychisch ruinieren kann und im ‚Segeltörn‘ erfährt die Leserschaft zwar, was ein Überstellungstörn ist, wird aber im Unklaren gelassen, inwieweit der Anfang der Erzählung mit dem Ende in Zusammenhang steht und wo hier wirklich die Gauner sind.
Jener Fall, der dem Buch den Namen gegeben hat, nämlich ‚Dr. Mord‘, ist mit einer und einer Viertel Seite eine der Kürzesten, hat sich höchstwahrscheinlich in den USA ereignet und zeigt deutlich, dass man aus – angeblich exakten – Zeit- und Ortsangaben völlig unterschiedliche Gutachten erstellen kann, die bei Gerichtsverfahren die These ‚Es gilt die Unschuldsvermutung‘ ad absurdum führen können.
Man liest diese kurzen Erzählungen, wie man Radionachrichten hört. Es plätschert an einem vorbei, weil es an Betroffenheit fehlt. Ein gutgemeinter Rat: in kleineren Dosen lesen und das Buch sodann für einige Zeit zur Seite legen. Das erhöht das Lesevergnügen. Lesezeichen nicht vergessen, denn es gibt kein Lesebändchen.

Michael Stradal

 

 
 
 
 
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