Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Straßen des vergänglichen Ruhms – Dichter auf dem Wiener Stadtplan“
Judith Gruber-Rizy
Literarisches Österreich, Nr. 2014/2
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Manfred Chobot        
    Straßen des vergänglichen Ruhms – Dichter auf dem Wiener Stadtplan      
    Mit Beppo Beyerl      
    2014: Wien, Löcker      
    236 Seiten      
    € 19,90      
           
               
 
   
     
     
 

Einige Jahre lang habe ich im Wiener 10. Bezirk, also in Favoriten, ganz in der Nähe der Alxingergasse gewohnt, aber ich muss gestehen, dass ich nie der Frage nachgegangen bin, nach wem diese doch recht lange Gasse (sie beginnt unten bei der Landgutgasse, fast beim Gürtel und führt bis über die Troststraße hinauf) benannt wurde. Beppo Beyerl und Manfred Chobots neuestem Buch über Straßen in Wien, die nach Dichtern benannt wurden, verdanke ich nun das Wissen darum, was mir da in all den Jahren entgangen ist. Denn immerhin war Johann Baptist Alxinger, der Namensgeber dieser Favoritner Straße, ein zu seiner Zeit sehr bekannter Dichter der Aufklärung, der außerdem mit so berühmten Männern wie Mozart, Haydn, Sonnenfels oder auch Angelo Soliman in derselben Freimaurerloge saß.

Alxinger, gebürtiger Wiener, Jurist, freier Schriftsteller wie man heute sagen würde, war ein leidenschaftlicher Verfechter der Aufklärung. In seinen großen Ritterepen vertrat er das Ideal der Humanität und Menschlichkeit. Und er regte mit seinem Epos über Hero und Leander Franz Grillparzer zum Drama über die unglücklich Liebenden an. Er schrieb Beiträge für Friedrich Schillers „Horen“, war mit dem Berliner Aufklärer Friedrich Nicolai befreundet, übersetzte mit Christoph Willibald Gluck dessen Oper „Iphigenie in Tauris“ ins Deutsche und schrieb selber das Opernlibretto „Die gute Mutter“ für Paul Wranitzky. Alxingers Gedichte, so stellen Chobot und Beyerl fest, zeugen „von einer derart vorurteilslosen Weltsicht, wie sie selbst unter den Wiener Aufklärern selten zu finden war”. Zum Beweis dafür werden einige Gedichte abgedruckt, die einen kleinen Einblick in das poetische Schaffen Johann Baptist Alxingers bieten.

Der Ausgangspunkt von Beyerl und Chobot ist die Tatsache, dass es in Wien zahlreiche Gassen und Straßen gibt, die nach Schriftstellern und Schriftstellerinnen benannt sind – aber kaum jemand weiß wirklich mehr über sie oder kennt gar deren Texte. Und so haben Beyerl und Chobot insgesamt 23 Autorinnen und Autoren, die Straßennamens-GeberInnen wurden, ausgewählt, und ihnen jeweils einen ausführlichen Essay gewidmet. Berühmtheiten wie Goethe, Grillparzer oder Nestroy haben sie dabei bewusst ausgelassen und sich lieber der „Unbekannten und Vergessenen“ angenommen. Sie haben deren Werke gelesen, ihr Leben studiert und sich mit ihrem Wirken auseinandergesetzt.

Und so kann man, um nur einige wenige zu nennen, ausführlich über Joseph Hammer-Purgstall, den Orientalisten, der mit seiner Hafis-Übersetzung Goethe anregte, nachlesen und vielleicht einmal durch seine Gasse in der Leopoldstadt bummeln. Oder sich auf Leo Perutz einlassen, der viel mehr war als Autor phantastischer Romane – durch die Leo Perutz Straße kann man allerdings noch nicht gehen, sie befindet sich erst im Planungsstadium irgendwo im 3. Bezirk beim Landstraßer Gürtel. Der Leser kann aber auf den Spuren von Max Winter auf dem nach ihm benannten Platz und Park im Stuwerviertel im 2. Bezirk wandeln, dem Max Winter, der die Sozialreportage „erfand“, die später von Egon Erwin Kisch oder auch Günther Wallraff fortgesetzt wurde. Und dann vielleicht nachlesen, wer denn Joachim Perinet oder Ignaz Franz Castelli waren. Selbst wer glaubt, Alfons Petzold, Joseph Schreyvogel, Johann Gottfried Seume oder Adolf Bäuerle zu kennen, wird hier noch Neues finden.

Das Buch von Beyerl und Chobot ist aber auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Namensgebern und mit der Vorgehensweise der Straßennamensgebung insgesamt. So schreiben Beyerl und Chobot etwa in ihrem Vorwort:
„Bemerkenswert ist, dass Autoren, die anfangs auf der Seite der Aufklärung standen und sich später der Reaktion zuwandten, ziemlich bald nach ihrem Ableben mit einer Straße oder Gasse geehrt wurden, während jene, die an ihren politischen Ansichten festhielten und sich nicht zu Opportunisten und Wendehälsen entwickelten, es oftmals erst 60 oder 90 Jahre nach ihrem Tod zu einer Verkehrsfläche brachten. Charakter und Rückgrat verzögerte zumeist die Anerkennung.“

Auch die Tatsache, dass von den 23 ausführlich beschriebenen Autoren nur 4 Frauen sind (Ada Christen, Alma Johanna Koenig, Selma Lagerlöf, Rosa Mayreder), ist nicht Beppo Beyerl und Manfred Chobot anzulasten. Die Ehre einer Straßenbenennung war lange Zeit den Männern vorbehalten (sieht man von Maria Theresia oder Kaiserin Elisabeth ab), erst 1970 änderte sich das.

Straßennamen, so Beyerl und Chobot, sind jedenfalls mehr als eine einfache Ortsbezeichnung: „Straßennamen vermitteln stets Identität, und der Verlust von Identität führt zu Anonymität, also zur Namenlosigkeit. Diesem Prozess wollen wir mit dem vorliegenden Buch entgegenwirken.”

P.S.: Um noch einmal ganz persönlich zu werden: Ich selber wohne seit über zwanzig Jahren auf einem Platz, der nach einem österreichischen mittelalterlichen Wappendichter benannt ist – aber wie viele der Anrainer wohl wissen, wieso ihr Platz so heißt?

Judith Gruber-Rizy

 

 
 
 
 
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