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Rezension „Lebenslänglich Wichtelgasse – Wiener Erkundungen“ - Alfred Warnes, Literarisches Österreich 2013/1  
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Manfred Chobot        
    Lebenslänglich Wichtelgasse
– Wiener Erkundungen
     
    2012      
    Wien: Löckerl      
    187 Seiten      
    19,80 €      
           
               
 
   
     
     
 

Literarisches Österreich, 2013/1

Manfred Chobot: Lebenslänglich Wichtelgasse – Wiener Erkundungen. Löcker Verlag, Wien 2012.

Fast wollte man die Einladung zu einer Buchrezension zum Anlass nehmen, um eine Laudatio auf den Autor ganz allgemein zu verfassen und die besondere Wertschätzung zu betonen.

Bei Manfred Chobot musste man beim Podium Porträt zu seinem 60. Geburtstag im Mai 2002 infolge der Begrenzung mit 64 Seiten den Primär-Textteil etwas kürzen, um der mit fünf Seiten umfangmäßigen durchaus adäquaten Biografie und Bibliografie Platz einzuräumen. Immerhin konnte man von 1973 bis 2007 30 Buchpublikationen, & übersetzte Werke (ins Slowakische, Polnische, Bangla, Ukrainische, Spanische, Tschechische, Französische und Englische) zählen, literarisch gewichtige Vor- oder Nachwortschreiber (Wendelin Schmidt-Dengler, Bernhard C. Bünker, Peter Henisch, Wolfgang Müller-Funk und Erika Kronabitter) sowie namhafte Illustrationen (Karl Anton Fleck, Alfred Hrdlicka, Paul Flora, Helga Cmelka und Regina Hadraba) ausmachen.

Zwischen 1972 und 2005 war Manfred Chobot auch an 13 herausgegebenen Büchern (etwa im Zusammenwirken mit Hans Haid, Bernhard C. Bünker, Gerald Jatzek, Hubert Christian Ehalt, Rolf Schwendter und Sylvia Unterrader) beteiligt.

In den sechs Jahren seither sind neun eigene Bücher als Autor und drei Publikationen als Herausgeber dazugekommen, wie zwei Romane, den späteren Manfred Chobot als einen ausweisen, der auch die längere Form meistert. Das bisher Festgestellte bedeutet nur etwas Quantitatives. Dahinter steht aber eine Qualität mit einer Schlagseite zum Außergewöhnlichen, zur bewundernswerten Sprachkraft, zur gewissenhaften Recherche, zur Überhöhung der Scharfsichtigkeit des Reports zu kunstvollen Verdichtung.

Vielleicht hat es in den letzten sechs Jahren dem nächtlichen Ausnutzer der eigenen Begegnung als Poet, Beobachter und Zuhörer nicht geschadet, dass er seine Tätigkeit als Buchreihen-Herausgeber, als Obmann einer namhaften literarischen Vereinigung, als federführender Redakteur von Literaturzeitschriften, als Leiter einer Schreibwerkstatt und als Mitwirkender bei Lesetheater-Veranstaltungen zugunsten des eigenen Schaffens aufgegeben oder zumindest stark reduziert hat. Vielleicht wirkt sich auch noch die in jungen Jahren als Leistungsschwimmer (Österreichischer Jugendmeister) erworbene Ausdauer und Disziplin aus.

Aber nun zum Buch selbst. „Lebenslänglich Wichtelgasse“ mit dem Untertitel „Wiener Erkundungen“ bietet 14 thematische jeweils andersartige Feuilletons, eine Gattung also, die in rund 200 Jahren mit Vinzenz Chiavacci, Daniel Spitzer, Ernst Kein und Helmut Qualtinger durchaus hoch einzuschätzende Vorläufer hatte.

Manfred Chobot wechselt innerhalb der einzelnen Texte vielfach die Perspektive und es entstehen Blickmöglichkeiten von der Ohnmacht von unten über die Durchschnittlichkeit und das No-na der Angehörigen der Mittelschicht bis zur Saturiertheit des mit sich selbst und seinem einkommens- und vermögensmäßigen Status Zufriedenen, der bisweilen zum Überlegenheitsgefühl und zur Arroganz neigt.

Chobot ist ein Vielwisser, er hat die lokale Zeitgeschichte mit Hintergrundinformationen intus, weiß um Altersbeschwerden und eine sich verfestigende Neigung zum Standpunkt, zu kurz gekommen zu sein, um blitzartig umschlagende Laune, um das Faktum, dass es letztlich keine Fixpunkte, keine solide montierten Griffstangen zum Sich-Festhalten gibt.

Dem gescheiten Essay „Hausen – Wohnen – Residieren“ über die Wohnmöglichkeiten vom Dasein im Gehäuse bis zum begehbaren Landhaus, vom Schlafen unter der Brücke und dem Besetzen leer stehender Rohbauten über das Sich-Wohlfühlen im Wohnwagen, über die Liebe zum Bizarren im Hundertwasserhaus bis zum Luxusheim mit Loft und einer sala terrena, belegt mit Zitaten von Erwin Ringel, Walter Benjamin und Martin Heidegger, folgen u.a. die Berichte über Werbeverkaufsveranstaltungen auf Jahrmärkten oder Betrachtungen zu Schlussverkäufen, Räumungsverkäufen, Inventurverkäufen und Liquidationsverkäufen, über den Brunnenmarkt nahe seinem Zuhause im Yppengrätzel, über die Shopping City Ost, über die Flaktürme und nicht von ungefähr, von den Wasser-Liebhaber Chobot drei sehr informative, den Chronisten und von fundierten Features repräsentierenden Texte „Die Wiener Hochquellenleitung“, „Die bunte Donau“ und „Gemma Strandbaden“.

Bei Chobot beeindrucken neben den unaufdringlich formulierten und locker erzählten Manifestationen des gut Informierten die verständnisvollen Skizzierungen von Menschenbildern, bei denen man mitfühlen kann, deren Qualität aber auch darin besteht, dass sie unsentimental, prägnant, authentisch einwirken.

Das Können dazu haben viele nicht, einige wenige besitzen es, und diesen gehört eben Manfred Chobot.

Den Abschluss bilden drei unterschiedliche Themenstellungen, denen wir im täglichen Leben oder bei dem Sich-Befassen mit Interessensfeldern im Persönlichen oder im Familien- und Freundeskreis konfrontiert sind – die Müllabfuhr und -beseitigung, der Formel 1 Grand Prix und die Vereinsmeierei. Chobot versteht es hierbei, interessant, verständlich und lesenswert zu gestalten.

Die Demut des Autors bei aller sprachlichen Potenz und Brillanz ist am Titel erkennbar, der auch dem ersten und vielleicht am meisten berührenden Beitrag vorangesetzt ist, den beiden Monologen der Hilflosigkeit betagter Menschen, die letztlich nicht auf ihr sich dem Ende zuneigenden Dasein stolz sind, sondern es eben hinnehmen, wie es war, etwas Unzureichendes, Kleines, Ausgestandenes, Wichtelartiges. Das verrät Tiefgang und verdient große Bewunderung.
Lieber Manfred Chobot, alles Gute zum 66er, den man leicht und vielleicht leichtfertig mit dem in Österreich beliebtesten aller Kartenspiele assoziiert.

Alfred Warnes

 

 
 
 
 
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