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Rezension „Der Tag beginnt in der Nacht“ – Hans Bäck
Europa-Literaturkreis Kapfenberg, Lesetipps
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Manfred Chobot        
    Der Tag beginnt in der Nacht
– Eine Erzählung in Träumen
     
    2011      
    Wien: Sonderzahl      
    120 Seiten      
    15 €      
           
               
 
   
     
     
 

Europa-Literaturkreis Kapfenberg, Lesetipps

Manfred Chobot: Der Tag beginnt in der Nacht. Eine Erzählung in Träumen. Sonderzahl, 2011.

Kennen Sie, verehrte Leser, den Zustand, wenn Ihnen eine Schachtel mit den Teilen eines Puzzles aus der Hand fällt? Alles ist durcheinander und es gibt die Vorlage, welches Bild entstehen sollte, nicht mehr? Sie wollen jedoch das Puzzle wieder zusammensetzen. Wie beginnen?

Natürlich mit jenen Teilen, die eine gerade Kante haben, denn das sind die Randstücke. So schaffen Sie einmal die Umrandung. Und wenn das Puzzle etwa 500 Einzelteile hat, dann können Sie sich vorstellen, wie lange der Suchvorgang dauert um diese Umrandung beisammen zu haben. Aber, davon können Sie dann ausgehen und siehe da, Einzelheit reiht sich an Einzelheit und nach vielen Stunden haben Sie das Puzzle geschafft (wenn nicht irgendwer daher kommt und wieder alles durcheinander bringt). So ähnlich wird/kann es Ihnen gehen, wenn Sie die Erzählung in Träumen (ausdrücklich keine Traumerzählung!) von Manfred Chobot in die Hand nehmen und zu lesen beginnen. Ein Traumbild reiht sich an das andere, aber die Zusammenhänge müssen Sie erst herausfinden. Da kann es schon passieren, dass Ihnen ein kleines Teilchen einmal übrig bleibt, vorläufig nicht wissen wohin damit. Das ist so mit den Träumen und mit den Bildern, die wir uns zusammensetzen müssen. Aus Träumen heraus oder auch – um beim Bild des Eingangs zu bleiben – um aus Puzzleteilchen ein Ganzes zu schaffen. Und der Autor verführt sie noch abzuweichen, er führt Sie gerne in die Irre, lenkt Sie ab. Ein Erzschelm dieser Manfred! Er zeichnet Ihnen ein Panoptikum des Literaturhimmels – wenn Sie einer der ausgelegten Fährten folgen wollen. Da kommt der legendäre Hans Carl vor, ja dieser hat sogar eine bestimmende Rolle in der Erzählung, in den Träumen. Es kommt der berühmteste „Forstarbeiter“ der jüngeren Literaturgeschichte vor, ja es wimmelt nur so von bedeutenden Dichtern bzw. den Anspielungen auf diese – wenn Sie wollen. Sie können das Buch aber auch ganz anders lesen, sie können versuchen, die Träume auszuloten, in Zusammenhänge bringen (womit wir wieder beim Puzzle wären). Einerseits sind die Personen so klar gezeichnet: „Suchen wir uns eben ein anderes Lokal, Hans Carl ist diesbezüglich um keinen Vorschlag verlegen.“ Oder, “darauf stößt Hans Carl an“  und weiter „Mutwillig nimmt Hans Carl einen Schluck“. Genug der Zitate und Beispiele, gehen Sie selbst auf die Suche! Sie werden Unglaubliches entdecken. Ja, Sie werden vieles nicht glauben, was Sie da lesen. Da mutiert urplötzlich der Hans Carl zu einem berüchtigten H. C. der Gegenwart, verändern sich Bilder, Personen. Eine Klosterschwester kann einen Zusammenhang natürlich nicht erklären, sie muss ihn verklären. So ist das eben mit den Träumen. Sie kommen, gehen, sind selten in Fortsetzungen zu erträumen. Die Frauen in der Erzählung? Hannah, aber besonders Agathe und Beate haben es dem Autor (und mir) angetan, dann kommt noch die Jolande dazu um die Zahl Vier zu erreichen: Die Ordnung der Manifestation (das Quadrat, ein Symbol des greifbaren-irdischen), die vier Elemente, die vier Charaktere, Jahreszeiten usw. Da spielen die Kellnerin, Gundi, die geistliche Schwester usw. keine wesentliche Rolle, sie sind Staffage, Teile des Puzzles. Diese Zusammenhänge ergeben sich auch, wenn man einzelne Passagen sich (fast wörtlich) auf der Zunge zergehen lässt: „Der Zöllner fragt, ob wir etwas zu verzollen hätten. Jeder Zoll ein Gentleman, bemerke ich vornehm“ (Seite 51). Oder wer kennt den großen Schriftsteller in Gerasdorf nicht, das natürlich zu Groß Gerasdorf werden muss, sonst wäre es ja zu einfach (Seite 102).

Verehrte Leser, wie schon einmal geschrieben, Sie können das alles auch ganz anders lesen und trotzdem Ihren Spaß haben. Den sollten Sie aber in jedem Falle haben! Und wenn Sie eine dritte, vierte oder noch viele weitere Ideen zu diesen Träumen haben – einverstanden, so soll es auch sein. Der Autor gibt uns bewusst nichts vor, wie „das zu verstehen sei“ was er in diesem schmalen Bändchen dargestellt hatte.

So wie der Autor seinen Spaß hatte, als er seine Träume aneinander reihte und damit den Tag richtigerweise in den Nächten beginnen lässt, so sollen wir ihn auch beim Lesen haben!

Mit einem deutlichen Schmunzeln

Ihr Hans Bäck

 

 
 
 
 
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