Ausgewählte Kritiken - Rezensionen | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Manfred Chobot | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
"morgen", Nr. 113/1997 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Manfred
Chobot: Der ertrunkene Fisch. Erzählungen. Bibliothek der Provinz,
Weitra 1997. 164 Seiten.
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Keine Angst vor Theorie! | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Der ehemalige Wettkampfschwimmer Manfred Chobot hat mit "Der ertrunkene Fisch" einen Erzählband vorgelegt, der von der Bibliothek der Provinz in einer derart noblen Ausstattung herausgegeben wurde, daß es sogar dem nicht allzu Bibliophilen auffällt, Freude macht und einer Buchprämie - schon wegen Fehlens von jeglichem Firlefanz - wert wäre. Stammt der ansprechende Buchtitel auch von einer Geschichte über die aktive Sportlerzeit des Autors, ist er doch passend für die gesamte Sammlung der Texte, keine weit hergeholte, zufällige Überschrift, sondern Programm. Nicht bloß, daß das adjektivisch gebrauchte Partizip Perfekt ("ertrunken") nahe legt, daß jeweils das unheilvolle Geschehen bereits abgeschlossen ist, wenn das Erzählen beginnt, wird hier auch noch Untergang, ja Scheitern am ureigenen Element angekündigt, also Tragik pur, die sich bis ins reflexive Scheitern und Doch-Nicht-Scheitern des Autors im Element des Erzählens, der Sprache, weiterspinnt. Was der Titel erwarten läßt, erfüllen die einzelnen Beiträge des Buches, das ist bei Erzählbänden leider nicht üblich heute, war es wahrscheinlich auch nie, und fesselt den Leser obendrein, denn trotz dieser strukturalen Vorgabe sind die Beispiele des Untergeschehens derart vielfältig und die Texte so sparsam gestaltet, daß von einer Berechenbarkeit keine Rede sein kann. Es ist eine äußerst unsichere Welt, die Chobot darstellt. Aber nicht der eher sprichwörtliche als wahrscheinliche Blumentopf ist es, der den Figuren auf den Kopf zufällt, sondern die spezielle immanente Gefährdung, die in jedem einzelnen Dasein liegt, führt zu den unterschiedlichen Katastrophen oder Beinahe-Katastrophen. Da wird ein illegal abtreibender Gynäkologe mit einem wahrscheinlich verbluteten Mädchen im ausgebrannten Auto gefunden; da gerät ein junger Schwimmer in den Bannkreis des alles bestimmenden und erfassenden Leistungssports, bis auch die chemische Unterwerfung des Körpers, die Selbstbeschädigung, nicht mehr außer Frage steht; da beschwert sich eine verwirrte Greisin im Altersheim darüber, daß nur alte Weiber in ihrem Zimmer seien, meint aber hoffnungsfroh, auch das werde zu überstehen sein, und schließt mit der Aussage, daß das Gedächtnis das letzte Aufgebot sei; Aufgebot - also etwas, das eher auf Hochzeit und Zukunft hinweist, denn auf das Ende. Und dann zeigt noch der Schlußteil - wahrscheinlich der am besten unterhaltende Abschnitt - ein Ersaufen im eigenen Element: Ein Schriftsteller schreibt vier Briefe an Duden, in denen die Sprache aufgrund des Augenmerks auf all ihre Doppeldeutigkeiten zerfällt. Diese Briefe werden ein besonderes Licht auf die vorangestellten Texte, das erkennen läßt, was für eine Illusion die Vorstellung einer präzisen Sprache, einer präzisen sprachlichen Erfassung von Wirklichkeit ist. Daß sie nicht willkürlich sind, zeigen diese Schlußpassagen, die Texte dunkel und oft fragmentarisch gehalten - sodaß sie dem Leser detektivisches Vorgehen abverlangen. Alle Dunkelheit kommt von der illusionären Vorstellung möglicher Eindeutigkeit. Nicht nur der Schreiber, sondern auch jeder bewußte Berichterstatter weiß, was alles, um nicht vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen, weggelassen werden muß, nicht erzählt werden kann, und wie dann die wirklich vorgebrachte Geschichte zwar schlank und häufig mit einer eindeutigen Botschaft versehen dasteht, das ihr zugrundeliegende Geschehen aber nicht zu einem Bruchteil erfaßt. Das Element, in dem sich der Dichter tummelt, trägt nicht, es ist das Medium, in dem er wie der Fisch ertrinken muß. Manfred Chobot hat, auch wenn just in den essentiellen Briefen Redundanz vorliegt und die fünfte Erwähnung des far nicht nahrhaften Mantelfutters etwas nervt, einen der wesentlichsten Beiträge zur Erzähltheorie geliefert, der obendrein aus lauter beachtenswerten Beispielen besteht und nicht in einem Satz theoretisch wird.
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
HWK
|
||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||