Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Versuch den Blitz einzufangen" – Klaus Ebner
Literarisches Österreich, Heft 2012/1
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Manfred Chobot        
    Versuch den Blitz einzufangen      
    2011      
    Innsbruck: Limbus      
    192 Seiten      
   

€ 18,90

     
           
               
 
   
     
     
 

Generationen
Es ist der zweite Roman (s)einer Familiengeschichte, die Manfred Chobot mit Versuch den Blitz einzufangen vorlegt. Eine Art Fortsetzung, wenn man so will. Deshalb trifft der kundige Leser gleich auf der ersten Seite auf bekannte Figuren, auf den Knaben Ügl-Ü und den Icherzähler, der sein Vater ist. Sie begleiten uns durch die ganze Geschichte, die aber eigentlich die Geschichte der Frauen ist, die nämlich in der 2009 erschienenen Reise nach Unterkralowitz kaum zu Wort gekommen sind.
Wieder verlegte der Innsbrucker Limbus Verlag den Roman, und wieder flocht der Autor sehr viel Autobiografisches ein, was er in Zeitungsinterviews gelegentlich unterstreicht. Freilich, inhaltlich nachprüfen können wir das auf die Schnelle nicht, aber das tut nichts zur Sache. Versuch den Blitz einzufangen zeichnet die Geschichte der Mutter Fanny nach, von der Anna-Tante und deren Tochter Brigitte, die als Geheimprostituierte arbeitet – »Ich bin, was ich bin: Brigitte.« –, und der türkischen Tante Alice. Verheiratet ist der Erzähler mit Maria, und die gemeinsame Tochter, also Ügl-Üs Schwester, das noch werdende Kind, nennen sie Mariamaria. Der Familienstammbaum wird noch komplizierter, denn natürlich spielen auch die Beziehungen zu den Männern eine Rolle, der Opportunist Erich Werlovsky, der sich vom k. u. k. Offizier zum Nazi wandelte, spiegelt ein gutes Stück österreichischer Geschichte des 20. Jahrhunderts, und dann gibt es eine ominöse Verbindung zum Schlagersänger Freddy Quinn – dieser gilt nämlich als Cousin des Erzählers, der eine Menge daran setzt, den Berühmten einmal persönlich zu treffen: »Was würdest du sagen, stünde ich eines Tages vor dir: Servus – oder Hallo? –, ich bin dein Cousin. Oder würde ich dich ansprechen mit: Guten Tag, Sie sind mein Cousin, Herr Vetter Freddy.« Um mit seinem Wunsch voranzukommen, tritt der Erzähler einem Fanklub bei und sucht sogar in Deutschland Freddys Manager auf, um seinem Vetter einmal unter die Augen treten zu können.
Charakteristisch für Chobots Roman ist der rasche, bisweilen geradezu stakkatoartige Perspektivenwechsel. Da spricht einmal der Erzähler, dann Kusine Brigitte, plötzlich die Mutter, oder es wird eine Begebenheit mit den beiden Kindern erzählt. Die unterschiedlichen Sichtweisen verändern sich oftmals von einem Absatz zum nächsten, manchmal mit Kennzeichnung, wessen Meinung da nun wiedergegeben wird, manchmal ohne. Das macht es zumindest anfänglich etwas schwierig, dem Lauf der Geschichte zu folgen. Der Leser wird buchstäblich gezwungen, sich auf das Erzähluniversum des Autors einzulassen, die zahlreichen Stimmen auf sich einprasseln und eine bunte Familiengeschichte vor den Augen entstehen zu lassen, der es keineswegs an Skurrilität mangelt: »Daheim habe ich geheult. Dabei stellte sich heraus, dass meine Schwester das Bett für ihren Freund in Anspruch nehmen wollte, weil er unterstandslos war. Also wurde ihr Sohn Peter zur Großmutter gebracht und Anna schlief mit ihrem Haberer im Ehebett der Eltern. All das hat meine Mutter geduldet, ich weiß nicht, warum, aber sie hat sich vor meiner Schwester gefürchtet.«
Dicht verwoben mit den Geschichten der Tanten und der Kusine schiebt sich vielerorts die Vater-Sohn-Beziehung in den Vordergrund, wie schon im ersten Buch, »Ügl-Ü lehrt mich die Schwierigkeiten des scheinbar Simplen. Wodurch unterscheidet sich eigentlich eine Kugel von einem Ball? Beide sind rund. Ich kenne mich selbst nicht mehr aus und lerne.«, nun erweitert durch die Vater-Tochter-Beziehung: »(...) eine Tochter, die mit mir wächst, die aufwächst, sich mir darstellt, sich mit mir organisiert und arrangiert. Eine Tochter zum Drücken und Liebhaben. Ein kesses Mädchen, das mir den letzten Cent aus der Tasche zieht. Eine Tochter, um sich von ihr ausnützen zu lassen. Weil sie gar so neckisch-niedlich ist.« Diese Passagen zählen zu den einfühlsamsten des Romans und zaubern wohl jedem lesenden Vater ein Lächeln aufs Gesicht, denn wenn Manfred Chobot ausführt, wie im Laufe einer Diskussion mit dem kleinen Sohn oder der Tochter allmählich die elterliche Geduld auf der Strecke bleibt, sehen sich wohl viele in eine Szene aus dem eigenen Leben versetzt. Mariamaria hat ihre eigene Geschichte, ebenfalls an vielen Stellen eingestreut und gegen Ende eine sehr überraschende Wendung nehmend, dann nämlich, wenn als real empfundene Begebenheiten sich plötzlich als geistige Projektionen erweisen.
Fabulierlust, Ironie, Witz, ein bisschen Zeitgeschichte und eine Menge Gefühl – das sind die Ingredienzien des Romans Versuch den Blitz einzufangen. Ein beschwingtes Lesevergnügen auf 190 Seiten, also durchaus auch für jene geeignet, die meinen, zum Lesen fehle es ihnen an Zeit.

Klaus Ebner

 
 
 
 
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