Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
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Rezension „Die Wunderwelt, durch die ich schwebte"
Wiener Zeitung, 5.12.2011
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
  Manfred Chobot        
    Die Wunderwelt, durch die ich schwebte – Literarische Träume
(mit Dieter Bandhauer)
     
    2011      
    Wien: Sonderzahl      
    200 Seiten      
   

€ 18,-

     
           
               
 
   
     
     
 

Sonderzahls Traumrevue

Bandhauer, Dieter und Chobot, Manfred (Hrsg.): Die Wunderwelt, durch die ich schwebte

Schöne Träume in Blau

(red) Ein schönes Buch hat der "Sonderzahl"-Verlag soeben ausgeliefert: Der Stoffeinband leuchtet in vornehmen Berliner Blau, und ein selbst gemachter Magritte als Titelbild unterstreicht mit surrealen Sinnverschiebungen, was den Leser erwartet, nämlich eine Revue aus literarischen Träumen, die sich auf elegantem, altmodisch-steifen Papier entrollen.

Die Textauswahl folgt nicht unbedingt einem klar erkennbaren Muster, sie ist bestimmt vom Geschmack Dieter Bandhauers und Manfred Chobots. Die beiden Herausgeber fanden einen schönen Rhythmus zwischen wilden und erbaulichen, ekstatischen und schmerzlichen, klassischen und modern/postmodernen Traumtexten. Das passt zum Stoff, im Traum wird ja alles Mögliche kombiniert, allerdings ohne klar erkennbare Logik, wie Professor Freud einst analysierte. Deshalb ist die Deutung mindestens so interessant wie der Traum, und für Leser dieses Buches gibt es entsprechend viel zu tun. Man verirrt sich mit den träumenden Autoren in ausweglose Labyrinthe und gerät in beklemmende Verhängnisse, schwebt jedoch eine Seite weiter gleich wieder durch schillernde Wunderwelten, denn manche Literaten träumen durchaus schön.

Unter anderem auch solche, von denen man es gar nicht gedacht hätte: Peter Rosegger zum Beispiel, der sich als Sklave in den Orient verkauft findet und dort vergeblich auf einen Abnehmer wartet. Mit Luis Bunuel als Träumer war zu rechnen, auch mit Alfred Kubin, dem 1909 sein überbordendes "Traumvermögen" zu schaffen machte. Einem Autor wie Antonio Fian erscheinen auch im Traum Dramolette, und Theodor W. Adorno ist des Nachts immerhin Anatole France begegnet, wenn auch nur kurz, denn der französische Schriftsteller verwandelte sich sogleich in eine Frau mit "provokanten Brüsten". Ob der Philosoph an die Szene gedacht hat, als sich drei Studentinnen mehr als 20 Jahre später im Hörsaal VI der Frankfurter Universität vor ihm entblößten?

Die Anthologie koppelt ihre Texte lose über Stichworte, kombiniert literarische Nachtarbeit vorwiegend des 20. Jahrhunderts und aus dem deutschen Sprachraum, springt gelegentlich aber auch in andere Zonen und Zeiten.

Dieter Bandhauer, Manfred Chobot (Hrsg.): Die Wunderwelt, durch die ich schwebte. Literarische Träume. Sonderzahl, Wien 2011. 197 Seiten, 18 Euro.

 
 
 
 
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