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Rezension „Reise nach Unterkralowitz“ – Klaus Ebner
Literarisches Österreich, Heft 2009/2
 
     
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
   
 
Der Gruftspion
 

Manfred Chobot

       
   

Reise nach Unterkralowitz

     
   

2009

     
   

Hohenems, Limbus Verlag

     
   

192 Seiten

     
   

€ 18,90

     
           
               
 
   
     
     
 

Von der Reise ins Ich

Mit „Reise nach Unterkralowitz“ legt Manfred Chobot einen Roman des 20. Jahrhunderts vor. Das entspricht nämlich in etwa der Zeitspanne, die von den vier behandelten Generationen ausgefüllt wird. Der Verlag spricht von einem Familienpanorama, in dem allerdings nur die Männer zu Wort kommen und die Erzählung somit aktiv gestalten. Kurz umrissen geht es da um den Großvater Franz Johann Chudy, den Vater Franz (Franzl) Chudy, dann den eigentlichen Protagonisten und primären Erzähler sowie dessen Sohn Tobias, der noch Säugling ist und mit mehreren Kose- und Spitznamen von Fuzzi und Quäko bis Ügl-Ü bedacht wird.

Die Fabel wird in der ersten Person erzählt: hauptsächlich vom Protagonisten, der zum Unwillen der Eltern Schriftsteller wurde, zeitweise aber auch vom Vater Franz Chudy. Der daraus folgende wiederholte Perspektivenwechsel wird lediglich durch einen neuen Absatzbeginn angedeutet, und die Frage, wer jetzt gerade spricht, klärt sich anhand des Inhalts und der leicht erkennbaren zeitlichen Zuordnung. Wenn der Großvater selbst zu Wort kommt, was durchaus geschieht, dann in Form von Briefen, die er aus dem Ersten Weltkrieg und aus der Kriegsgefangenschaft an seine Familie geschickt hat, sowie im Kriegstagebuch. Diese Briefe sind gleichzeitig die letzten Lebenszeichen und ein Anlass für den Ich-Erzähler, diesem unerreichbaren Großvater näherkommen zu wollen.

Einiges in diesem Roman legt nahe, dass Manfred Chobot eine Menge Autobiografisches in den Text packte. Diesen Schluss legt auch das Titelbild nahe, das eine alte Fotografie des Greißlerladens von Antonia Chobot zeigt, in Analogie zum Geschäft der Antonia Chudy im Buch. Ähnlich die Widmung, denn das Buch ist dem Andenken an den Großvater zugedacht. Chudy also gleich Chobot? Die witzige Deutung des Namensursprungs im Buch, dass Chudy nämlich entweder aus dem Tschechischen stamme oder von den Hugenotten aus dem Französischen mitgebracht wurde, ließe sich auch auf Chobot anwenden. Wie viel Autobiografisches nun tatsächlich in diesem Roman steckt, kann (und will?) wohl nur der Autor selbst beantworten. Die Lektüre versieht dieser Umstand jedenfalls mit einem zusätzlichen prickelnden Spannungsmoment, denn einprägsame Sätze des Großvaters, die beruflichen Aktivitäten des Vaters während der nationalsozialistischen Annexion und die Wickelerlebnisse des Erzählers mit seinem Baby können der persönlichen Familiengeschichte des Autors entspringen.

Natürlich enthält der Roman auch eine Menge Humor. Als Auslöser dienen die zahlreichen Erlebnisse des frischgebackenen Vaters, etwa bei der formellen Anerkennung der Vaterschaft: „Rechtsbelehrt habe ich dich als meinen Sohn anerkannt, wodurch du einen Vater erhalten hast. Sodann griff der Beamte zum dokumentenechten Kugelschreiber und tat es mir gleich, wobei er durch seine Unterschrift – im Gegensatz zu mir – nicht Vater wurde.“ Und hinsichtlich der bekannten Diktatorenallüren des Sprösslings heißt es: „Behandeln Sie Ihr Baby wie einen Gast, habe ich in einer Zeitschrift gelesen. Witzbolde. Wenn sich ein Gast dermaßen aufführt, schmeiße ich ihn hochkant hinaus.“

Den Großvater hätte der Schriftsteller-Protagonist also gerne persönlich kennengelernt. Doch er starb noch in Kriegsgefangenschaft. Großmutter Antonia entwickelte sich nach dem Verlust ihres Mannes zu einer starken Persönlichkeit – überstark für den Sohn –, weil sie in einer Zeit, in der soziale Unterstützung bestenfalls die ersten Gehversuche unternommen hatte, einfach überleben und ihre beiden Kinder durchbringen musste. O-Ton: „Großmutter blieb bis zu ihrem Tod Witwe und Herr im Haus.“

Die Geschichte des Erzählers ist eine Forschungsreise in die Vergangenheit, konkret ins Leben der Eltern und Großeltern, sowie eine Auseinandersetzung mit dem neuen Leben, mit den Bedürfnissen und Entwicklungsfortschritten des neugeborenen Sohnes Tobias. Diese Forschungsreise hat zwangsläufig viel mit der österreichischen Zeitgeschichte zu tun: vom Ende des Vielvölkerstaats über die Erste Republik und die Katastrophe der Naziherrschaft hin zur heutigen Zweiten Republik. Während der Großvater noch in einer intakten Welt eines europäischen Großreichs aufwuchs und seine Schlosserlehre beendete, zerrissen der Erste Weltkrieg und die Kriegsgefangenschaft alle bewährten Muster. Franz Chudy Junior lebte von verschiedenen Jobs, vom Claqueur im Theater über den Schuhpastaverkäufer hin zu diversen wirtschaftlich orientierten Bürojobs unter den Nazis; auch das Einrücken als Infanterist der großdeutschen Wehrmacht blieb ihm nicht erspart. Die Ehe der Chudys darf aufgrund zahlreicher kleiner Hinweise als unglücklich gelten, und das Verhältnis des Protagonisten zu seinen Eltern ist zumindest distanziert. Der Versuch, jene Orte im nunmehrigen Osteuropa aufzusuchen, die wichtige Meilensteine seiner Familiengeschichte darstellen, ist wohl ein Versuch, die Distanz zur eigenen Herkunft aufzuheben oder zumindest zu verringern. Unterkralowitz, heute Dolní Kralovice, steht symbolisch für – eine emotionale – Heimkehr.

Die sich festigende Beziehung zwischen Vater und Sohn Tobias ist geradezu ein Gegenpol zu den befremdenden Beziehungen der Vergangenheit, wo etwa Eheleute, wie die Großeltern, einander siezten. Und die beschriebenen Erfahrungen mit der Säuglingsbetreuung lassen immer wieder schmunzeln; bei den meisten von uns weckt es Erinnerungen, wenn es etwa heißt: „Seit gestern unterscheidet Quäko zwischen Vater und Mutter. (…) Er nuckelt keinen Lutschfleck mehr an meiner Brust oder meinem Oberarm, sondern wartet unwirsch brüllend auf den Busen der Mutter. Er hat begriffen, dass Milch bei mir nicht fließt.“ In einem fast naiv wirkenden Ton entsinnt sich der Erzähler dann der eigenen Kindheit, spricht von Erlebnissen, die sich ins Gedächtnis prägten, weil sie in dem Jungen von damals starke Gefühle auslösten. Kindheitserlebnisse, die sich wiederum in vielfältiger Weise in den geschichtlichen Hintergrund einfügen.

Österreichische Historie auch als Abbild im Wandel der gesellschaftlichen Realität: das multiethnische Großreich und ein Großvater, der sich bisweilen als Philosoph entpuppt; die erste Republik, ihr Einmünden in die völlige Staatsauflösung unter den Nazis und ein Vater, der sich so recht und schlecht durchs Leben schlägt und erst spät sein Kind bekommt; die Zweite Republik, die Besinnung auf eine kleine Welt, die Entdeckung des Vaterseins und ein Erzähler, der einerseits das Dunkel der Familiengeschichte ergründet und andererseits Freude am Staunen hat, welches das allmähliche Ergründen der Umwelt seines kleinen Kindes, auslöst. Das Kriegstagebuch, das der Schriftsteller-Protagonist bei öffentlichen Veranstaltungen eigentlich gerne vortrüge, nimmt gegen Ende mehrere Seiten des Buches ein: Berichte aus den Kriegsjahren des Ersten Weltkriegs, sehr Persönliches verwoben mit einem der einschneidendsten Umbrüche der europäischen Geschichte.

Klaus Ebner

 
 
 
 
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