Ausgewählte Kritiken - Rezensionen  
 
back
 
 
Dialekt-Rezension "Gschichtn denk i ma söba aus..."  
(Richard Christ in: "Gegengift", Pfaffenhofen)
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
     
 
kumm haam in mei gossn
  kumm haam in mei gossn
     
    Dialektgedichte      
    2000: Wien, Bibliothek der Provinz      
    € 15,00      
           
           
           
               
 
     
     
  "Gschichtn denk i ma söba aus..."  
     
 
Ein neuer Lyrikband des Wieners Manfred Chobot
Von Richard Christ
 
     
 

Es ist nicht der erste Lyrikband im Wiener Dialekt, den Manfred Chobot (Jahrgang 1947) herausgebracht hat, aber der umfangreichste (150 Seiten, Bibliothek der Provinz, Weitra, Titel "Kumm haam in mei Gossn"); überdies hatte Chobot mit Bernhard C. Bünker eine Anthologie mit österreichischer Dialektdichtung von 1970 bis 1980 herausgegeben. Mir ist damals schon aufgegangen, welch ganz andere Rolle Dialektliteratur in Österreich spielt als in Deutschland. Bei uns geraten Texte außerhalb des Schriftdeutschen doch leicht in die Nähe des Komischen, gewollt oder unbeabsichtigt, etwa im Sächsischen, Bayrischen, Schwäbischen, in Kölsch, Pfälzisch, im Berliner- oder Ruhrpott-Jargon. Der Dialekt sperrt sich im Deutschen oft der Behandlung seriöser, komplizierter, anspruchsvoller Inhalte. Anders in Österreich, mit dem wir angeblich die deutsche Schriftsprache teilen. Die "Tiroler Tageszeitung" schrieb über die genannte Anthologie: "Der Dialekt hat längst das Terrain heiter-besinnlicher Betrachtungen im verklärten ländlichen Bereich verlassen. Er ist Stilmittel geworden, viel mehr aber noch hautnächstes Medium, um Unbehagen zu artikulieren, Mittel, um das, was gedacht und gefühlt wird, möglichst ohne Zwischenrufe zu formulieren. Im Dialekt wird heute vorwiegend Kritik betrieben... Man macht sich die Kraft der Sprache, die Unverblümtheit des Stils und den ... hohen Gefühlswert des Dialekts zunutze, um fast schon Sprachloses einzufangen, um typische Situationen unverfälscht wiederzugeben, um Gedanken das treffende Umfeld zu schaffen." Beweis für die uneingeschränkte Verwendbarkeit des Dialekts ist das Werk des kürzlich verstorbenen H.C. Artmann.
Auch Chobots Gedichte umspannen einen weiten Themenkreis, die Rede ist von Gott und der Welt, Alltäglichem und Ausgefallenem, vieles wird in großer Anschaulichkeit und Derbheit demonstriert. Wegen der konsequenten phonetischen Wiedergabe der Texte, der Kleinschreibung, der fehlenden Interpunktion sind sie dem hochdeutsch Sprechenden bzw. Lesenden eher verständlich, wenn er sie "mit dem Ohr" liest. Als Beispiel wähle ich ein Gedicht mit einer Art weltanschaulichem Credo:

i glaub

i glaub net draun
dass a leben nochn tod
gibt
fon an doppla
densd nidagsoffn host
bleibt de floschn
und a druk auf da blosn
wosd aussebrunzt
rinnt obe ins heisl

mia kaun kana wos dazöön
gschichtn denk i ma söba aus


 
 
publiziert in: "Gegengift", Pfaffenhofen, 15. Januar 2001
     
     
 
top