Ausgewählte Kritiken / Rezensionen  
 
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Vorwort "Der ertrunkene Fisch" - Wendelin Schmidt-Dengler    
(zu Manfred Chobot: "Der ertrunkene Fisch")
   
 
     
 
 
     
  Manfred Chobot  
     
 
  Der ertrunkene Fisch
     
    Erzählungen      
    1996: Weitra, Bibliothek der Provinz      
    € 19,00      
           
           
           
               
 
     
     
  VORWORT von Wendelin Schmidt-Dengler  
 
(zu Manfred Chobot: "Der ertrunkene Fisch")
 
     
 

Wie unterschiedlich und reichhaltig die Möglichkeiten kurzer Prosaformen sind, das manifestieren auf anschauliche Weise die drei Teile dieses Bandes: Von der "short story" über die autobiographische Skizze bis zur sprachlichen Causerie; die Varietät der Inhalte wird durch ein ironisches Verhältnis zu diesen hergestellt, wobei Ironie hier nicht der besserwisserischen Überlegenheit des Autors über dem Sujet entspringt, sondern dem Staunen über die Möglichkeiten, Tatsachen mit der Sprache zu kolportieren. Das beginnt mit den Kurzgeschichten des ersten Teiles mit ihrer - im wörtlichen Sinne - oft explosiven Handlung, wird mit dem autobiographischen oder biographischen Texten des zweiten Teiles fortgesetzt, in denen das (un)bürgerliche (Anti-)Heldenleben (nicht nur der sechziger Jahre dieses Jahrhunderts) seine Umrisse gewinnt und endet in der Satire auf jene, die sich als Sprachgesetzgeber inthronisieren und die Widersprüche und die bunte Vielfalt der Semantik unter ihre Kontrolle bringen wollen.
Naives Erzählen, in dem der Berichterstatter seiner Wirklichkeitssicht vertraut, ist - trotz der mehrfach abgegebenen Versicherungen der beamteten Literaturkritik - nicht mehr möglich. Gerade das demonstriert Chobot in seinen Erzählungen anschaulich, indem er durch den Betrachter und Berichterstatter stets produktive Unsicherheit herstellt: Die Perspektive der Mitreisenden im Zugabteil ("Jemand zugestiegen?") mag für diese kaleidoskopartigen Arrangements der Inhalte das einschlägigste Beispiel sein. Wie die jugendlichen Lebenskonzepte mit der Realität kollidieren, wird in dem autobiographischen Bericht "Auf der Suche nach den verlorenen Sekunden oder Der ertrunkene Fisch" evident. Der Erzähler ist Anwalt des Gedächtnisses, und diese Texte sind Beispiele für einen produktiven Umgang mit dem Kapital, das Glück und Belastung zugleich bedeuten kann: "Das Gedächtnis hört nicht auf, es ist das letzte Aufgebot", heißt der letzte Satz einer Geschichte, ein Vermächtnis gleichsam am Ende eines beklemmend realistischen Textes. Doch sind auch in anderen Texten Ab- oder Umwege ins Surreale oder Absurde ohne allzu angestrengte Klimmzüge möglich, da sich Chobot vorzüglich auf die Außenseiter-Perspektive versteht und von daher die Sitten und Gebräuche, in denen wir unsere Lebenspraxis geborgen wähnen, fragwürdig wähnen. Der "Hamster-Bewahrer" ist dabei das berührendste, "Kaahumanu und Elisabeth oder Weichen der Politik" das technisch vollkommenste Prosastück.
Dem Handwerklichen hat Chobot in seinen Erzählungen durch die mit Raffinesse geübte Kombination verschiedener Verfahren, die von einem reflektierten Realismus bis zu Experimenten mit der Sprache reichen, Tribut gezollt und zugleich den Beweis erbracht, daß es möglich ist, der Unterhaltung des Lesers mit angeborenem Witz zu dienen, ohne dabei die Probleme leichtfertig zu verwitzeln.

 
 
Wendelin Schmidt-Dengler
 
  (1996)  
     
 
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